Terror in der Oper

(IT 1987; Regie: Dario Argento)

Das überwältigte Auge

Während der Proben zu Verdis „Macbeth“ wird die Hauptdarstellerin von einigen zur Inszenierung gehörenden Raben attackiert und verlässt unter wütendem Getöse das Konzerthaus. Auf die Straße hastend wird sie von einem Auto erfasst und schwer verletzt. Betty (Cristina Marsillach), die wenig selbstbewusste Zweitbesetzung der Lady Macbeth, muss einspringen und bekommt nun die Chance ihres Lebens. Doch irgendetwas scheint nicht mit rechten Dingen zuzugehen. So wird ihr die Nachricht über den baldigen Einsatz nicht nur von einer rauen Telefonstimme, die keinem Mitarbeiter des Opernhauses zuzuordnen ist, übermittelt. Angeblich soll auch noch ein Fluch auf dem aufzuführenden Stück liegen. Und tatsächlich wird die erste Vorstellung von einem herabstürzenden Scheinwerfer und einem toten Platzanweiser kurz unterbrochen. Irgendjemand verfolgt Betty und geht dabei über Leichen.

„Terror in der Oper“ ist eine lose Adaption des Stoffes von Gaston Leroux aus dem Jahre 1910. Lose schon deshalb, weil Argento als Meister des Giallo – abgeleitet aus einer seit 1929 erscheinenden Kriminalbuchreihe, die Anlass zu diversen Verfilmungen gegeben hat – spätestens seit „Profondo Rosso“ (IT 1975) nur wenig auf einen stringenten Plot gibt. In den häufig als oberflächliche Whodunits angelegten Erzählungen kann der Zuschauer Logik sowie eine präzise Schauspielführung getrost vergessen. Dementsprechend neigen die zahlreichen Drei-Wort-Hauptsätze in „Terror in der Oper“ genauso wie die Bewegungen der Figuren dazu, jenen Erzählversatzstücken einer pornografischen Rahmenhandlung sehr nahe zu kommen. Aber Gialli sind auch nicht für ihre ausgefeilten Dialoge berühmt geworden. Schon gar nicht die von Dario Argento, der die Handlung selbst in Momenten der Verfolgung gern einmal aussetzt und seine Figuren stumm in labyrinthartigen Gängen und Raumverschachtelungen verloren gehen lässt. Die Form, das wird in solchen Momenten deutlich, triumphiert hier eindeutig über den Inhalt. Und auch wenn Argento die albtraumhaften Raumkonstruktionen und die bestechenden Farbdramaturgien seiner beiden Meisterwerke „Suspiria“ (USA 1977) und „Inferno“ (USA 1980) in „Terror in der Oper“ nicht wiederholt, variiert oder zu erweitern sucht und somit der Erosionsprozess seines visuellen Stils bereits abzusehen ist, erschafft er hier noch einmal einige seiner ikonografischsten Bilder im Versuch, den physischen und psychischen Grundlagen des Sehens auf den Grund zu gehen.

Nachdem Betty ihre erste Vorstellung als Lady Macbeth erfolgreich absolviert hat und ihr alle zu Füßen liegen, bekommt sie mitten in der Nacht Besuch von ihrem unbekannten Stalker, der sie angebunden an eine Säule und mit unter den Augenlidern geklebten Nadeln dazu zwingt, einen Mord mit anzusehen. Sollte sie die Augen schließen wollen, würden die Nadeln ihre Augenlider durchstechen. Der Killer, so scheint es, hat es nicht auf sie, sondern auf ihre Blicke abgesehen. Das zum Hinsehen gezwungene Auge ist zugleich natürlich das Auge des Zuschauers, das sich den Gewaltbildern des Horrorfilms nicht entziehen kann oder will. Gerade weil Betty weder Täter noch direktes Opfer ist, symbolisiert der Zwang zum Hinsehen das entkörperlichte Auge des Betrachters, das im Voyeurismus vermeintlich keine Verantwortung für das Gesehene trägt.

Der tatsächliche Gegenstand des Filmes ist nicht so sehr die Suche nach dem Mörder als die Kamera selbst und die Frage danach, wer eigentlich blickt. Die entfesselte Kamera, die an vielen Stellen des Filmes durch Bettys Wohnung und am Ende des Filmes in einem eindrucksvollen Flug durch den Konzertsaal jagt, entreißt den Blick des Zuschauers einer gesicherten Position. Desorientierung entwickelt Argento hier nicht durch unzuverlässige Räume, sondern durch eine Kamera, bei der objektiver und subjektiver Blick untrennbar miteinander verwoben sind. Selbst in den offensichtlichen point-of-views wird oftmals erst im Umschnitt klar, welcher Figur der Blick überhaupt zugeordnet werden kann.

In einer der beklemmendsten Szenen des Filmes – in der ein Mann sich Zutritt zu Bettys Wohnung verschaffen will und durch den Türspion von drinnen nicht als der Polizist identifiziert werden kann, als der er sich ausgibt – sehen wir die Großaufnahme einer Patronenkugel, die sich durch den Türspion hindurch einen Weg zum beobachtenden Auge bahnt und dieses somit jeden Erkenntnisvermögens beraubt. Das unbekannte und unheimliche Draußen drängt hier in doppelter Weise Ins Innere. Und es ist diese Kollision von drinnen und draußen, die als Definition für das Furchterregende und den Horror gelten kann. Selten hat ein Regisseur Macht und Ohnmacht des Blickes und damit die ganze Hilflosigkeit der Protagonisten so spürbar auf den Zuschauer übertragen, wie dies für Dario Argento zutreffend ist. In „Terror in der Oper“ führt er es uns noch einmal par excellence vor.

2017 wird „Suspiria“ vierzig Jahre nach der Erstaufführung als restaurierte 4k-Fassung für zwei Tage in den italienischen Kinos gezeigt. Ein Remake des Filmes unter der Regie von Luca Guadagnino ist ebenfalls für 2017 angekündigt. Auch hierzulande erfährt Dario Argentos Werk nicht zuletzt dank des 2013 von Marcus Stiglegger und Michael Flintrop herausgegebenen Buches „Dario Argento – Anatomie der Angst“ eine angemessene Würdigung. Leider sind nur wenige Filme und selten in ungeschnittener Fassung erhältlich. Wer sich also mit ein wenig mit Dario Argentos Werk beschäftigen möchte, dem sei auch „Terror in der Oper“ noch einmal sehr ans Herz gelegt. Der Film startet nach 30 Jahren nun doch noch in den deutschen Kinos.

Benotung des Films :

Ricardo Brunn
Terror in der Oper
(Opera)
Italien 1987 - 103 min.
Regie: Dario Argento - Drehbuch: Dario Argento, Franco Ferrini - Produktion: Dario Argento, Mario Cecchi Gori, Vittorio Cecchi Gori - Bildgestaltung: Ronnie Taylor - Montage: Franco Fraticelli - Musik: Claudio Simonetti - Verleih: Koch Media - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Cristina Marsillach, Ian Charleson, Urbano Barberini, Daria Nicolodi
Kinostart (D): 05.01.2017

DVD-Starttermin (D): 25.11.2015

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0093677/
Link zum Verleih: https://www.maxdome.de/dario-argento-opera-12607827.html
Foto: © Koch Media