Der Weg vom Blumenhändler zum Friedhof, über Kopfsteinpflaster und durch alte Gemäuer führt in die Trauer. Die junge Anna (Paula Beer) hat ihren Verlobten Frantz verloren und mit ihm alle Lebenslust. Wie überall in Deutschland sind kurz nach dem 1. Weltkrieg auch in Quedlinburg viele Opfer zu beklagen. Väter weinen um ihre gefallenen Söhne, leiden unter der Schmach der Niederlage und richten ihre im Schmerz gefangene Verbitterung gegen den Erbfeind Frankreich. Zu ihnen gehört auch der Arzt und Patriot Hans Hoffmeister (Ernst Stötzner), der zusammen mit seiner Frau Magda (Marie Gruber) in Frantz den Tod seines einzigen, anonym begrabenen Sohnes betrauert. Als eines Tages der junge Franzose Adrien (Pierre Niney), ein Violinist von kultivierter Erscheinung, an ihrer Haustür klingelt und sich zögerlich als Frantz‘ Vorkriegsfreund seiner Pariser Studienjahre ausgibt, weichen allmählich Misstrauen und Feindschaft. Vermittelt durch Musik, Kunst und gemeinsame Erinnerungen treffen sich die körperlich und psychisch Versehrten in kollektiver Trauer.
In seinem neuen, in Schwarzweiß und Cinemascope gedrehten Film „Frantz“ etabliert der französische Regisseur François Ozon zunächst ein gefühlvolles, sehr bewegendes Melodram, in das nur an wenigen Stellen die Farbe der Lüge und des Lebens einbricht. Seine spiegelbildlichen Konstruktionen von Leid und Zerstörung, Leben und Tod sind nicht frei von Klischees und ergreifendem Pathos. Ozon nutzt diese genretypischen Mittel aber nicht nur, um aus der Perspektive der Unterlegenen eine Geschichte über Schuld und Vergebung sowie die mögliche Freundschaft zweier benachbarter Länder zu erzählen; sondern die heilsame Wirkung des Erzählens als ein Erfinden von Geschichten wird selbst zum Thema. Die Kunst – und sei ihre Wahrheit noch so ironisch gebrochen – wirkt geradezu als Therapeutikum.
Die Lüge wird in „Frantz“, der in Teilen von Ernst Lubitschs Film „Broken Lullaby“ (1931) nach einem Theaterstück von Maurice Rostand inspiriert ist, zur schmerzlichen Bedingung des Weiterlebens. Im Zentrum von Ozons Film steht die zwischen aufkeimender Hoffnung und tiefer Verzweiflung schwankende Anna. In ihr laufen alle Fäden zusammen, kreuzen sich Wahrheit und Täuschung. Denn zunächst verstrickt sie sich in eine komplizierte, von Höhen und abrupten Tiefen gekennzeichnete Liebe zu Adrien, aus der sie sich später wieder wird lösen müssen. Wenn sie schließlich am Ende im Pariser Louvre (sic!) vor Édouard Manets düsterem Gemälde „Der Selbstmörder“ (1877/81) sitzt, ist sie zugleich Opfer und Emanzipierte. Anna ermöglicht den anderen in ihrem Umkreis, zu leben und findet durch die Lüge hindurch zu sich und ihren Gefühlen. Es ist, als mildere in diesem Augenblick der Wechsel zur Farbe diese im Grunde schwere Hypothek des Gewissens.