Café Belgica

(B/F 2015; Regie: Felix van Groeningen)

Rock 'n' Roll forever

Zu Beginn des Films ist das titelgebende Café Belgica eine versiffte Kneipe, in der sich allabendlich ein buntes, freakiges Völkchen gestrandeter Existenzen trifft und der Alkohol in Strömen fließt. Dazu spielen lokale Genter Musikgrößen den Blues. Eingehüllt in dichten Zigarettenqualm ist diese Insel der Bierseligen und Aussteiger Fluchtraum und Gegenwelt, wo verlorene Träume im Suff ertränkt werden und das graue Leben überraschend heitere Züge annimmt. Geführt wird die kultige Spelunke von dem jungen Musikfan Jo (Stef Aerts), der seit frühester Kindheit auf einem Auge erblindet ist. Der sensible, sympathische Typ beginnt eine Beziehung mit Marieke (Hélène Devos) und plant die Erweiterung des Café Belgica zu einem Musikclub.

Unerwartete Unterstützung bekommt er dabei von seinem älteren Bruder Frank (Tom Vermeir), der eine neue Herausforderung sucht und „ein bisschen Rock ’n’ Roll“ gegen die Langeweile seines Familienlebens braucht. Frank hat nämlich Frau und Kind, zeigt sich aber wenig verantwortungsvoll. Stattdessen lechzt er nach der Freiheit eines anderen Lebens und wird zu Jos Geschäftspartner. Als schließlich der neue Club in einer rauschhaften, geradezu ekstatischen Nacht eröffnet wird, will die Dauerparty nicht mehr enden. „How long will this go on?“, heißt es in einem Song des von Soulwax mit großer stilistischer Bandbreite komponierten Soundtracks, während die Sehnsucht nach Entgrenzung alles verschlingt. Aus dem freudig begrüßten „Ort der Verdorbenheit“ wird eine sehr spezielle „Arche Noah“ des grenzüberschreitenden Miteinanders, die jedoch den Keim ihrer Zerstörung bereits in sich trägt.

Felix von Groeningen übersetzt in seinem Film „Café Belgica“ diesen fast utopischen Traum in intensive Bilder eines wüsten Exzesses aus Musik, Drogen und Sex. Weil sich dadurch in Konfliktsituationen private Freundschaften und geschäftliche Interessen zunehmend vermischen und überdies der versoffene Frank immer unsolider wird, schlägt die Bruderliebe um in einen Bruderkampf. Bald ist die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit, alternativem und echtem Leben unüberbrückbar. Frank verliert sich im Rausch, verrennt sich in Obsessionen und zerstört dabei Beziehungen. Fast scheint es, als manifestiere sich in seinen Abstürzen ein negatives Erbe, das ihn zum geborenen Verlierer und damit zum tragischen Helden macht. Doch dann gewinnt der umsichtige Jo in gleich mehrfacher Hinsicht die Kontrolle zurück. Felix von Groeningens Film „Café Belgica“ lässt sich auch als wehmütigen Abgesang auf das Ende einer Ära verstehen.

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Café Belgica
(Belgica)
Belgien / Frankreich 2015 - 126 min.
Regie: Felix van Groeningen - Drehbuch: Arne Sierens, Felix van Groeningen - Produktion: Dirk Impens - Bildgestaltung: Ruben Impens - Montage: Nico Leunen - Musik: Soulwax - Verleih: Pandora Filmverleih - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Tom Vermeir, Stef Aerts, Hélène Devos, Charlotte Vandermeersch, Stefan De Winter, Dominique Van Malder, Ben Benaouisse, Boris Van Severen, Sara De Bosschere
Kinostart (D): 23.06.2016

DVD-Starttermin (D): 18.11.2016

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt3544218/
Link zum Verleih: http://www.pandorafilm.de/filme/belgica.html
Foto: © Pandora Filmverleih