Zwei Tode rahmen Maren Ades tragikomische Vater-Tochter-Geschichte, von der sie in ihrem Film „Toni Erdmann“ erzählt. Das Uneigentliche, das mit seiner ironischen Distanz zwischen Winfried Conradi (Peter Simonischek) und Ines (Sandra Hüller) herrscht, kommt dann für lange Augenblicke zur Ruhe: Wann spürt sich der Mensch als Mensch? Was macht das Leben lebenswert? Und kann man das Glück immer nur in der Rückschau auf vergangene Erfahrungen und Erlebnisse fassen? Diese existentiellen Fragen begleiten die skurrilen Begegnungen zwischen Vater und Tochter, schwingen zwischen ihnen im permanenten Austarieren von Nähe und Distanz. Denn auf ganz verschiedene Weise sind beide Protagonisten Verkleidungskünstler und Maskenträger: Während Musiklehrer Conradi mit Perücke und falschem Gebiss seine Mitmenschen verunsichert, spielt Ines ihre Rolle als Unternehmensberaterin im „Ölbusiness“, die mit „Outsourcing-Projekten“ betraut ist.
Doch eigentlich bleibt ihre abgehobene Arbeit wenig griffig, fast abstrakt. Ihr von Stress, Anspannung und fortwährendem Zeitdruck begleitetes Geschäftsgebaren wird bestimmt von Äußerlichkeiten und Floskeln, verschwurbeltem Fachsprech und inszenierten Scheinkämpfen. Als Ines überraschend von ihrem eher unberechenbaren Vater in Bukarest besucht wird, ist sie einerseits peinlich berührt, weil der unkonventionelle Winfried ziemlich quer zu ihrem Alltag steht; andererseits fühlt sie sich an ihre Tochterpflichten erinnert. Sehr genau blickt Maren Ade mit den Augen des außenstehenden Vaters, den die Tochter am liebsten verstecken würde, auf die von hierarchischen Strukturen und unwürdigen Machtspielen geprägte Arbeitswelt von Ines. Existenzängste und eine tiefsitzende Einsamkeit beherrschen ihr Tun, dessen Brüchigkeit in vielen Details immer wieder aufblitzt und das zudem kontrastiert wird mit der Armut der umgebenden rumänischen Gesellschaft.
Als Winfried nach einer Auseinandersetzung früher als geplant abreist, ist Ines fast schon erleichtert. Doch dann kehrt der Vater völlig unerwartet in der ziemlich schrägen Gestalt des titelgebenden Helden Toni Erdmann zurück und konfrontiert mit seiner falschen Identität die Tochter mit ihrem Leben. Das führt zu einer Reihe grotesker Situationen und Verwicklungen, die aber nie nur komisch und irritierend sind, sondern immer auch ein bisschen traurig. Sehr realistisch übersetzt Maren Ade den familiären Konflikt zwischen Nähe und Distanz in ein schillerndes Spiel zwischen Verstellung und Echtheit, Verkleidung und Nacktheit. Auf dessen Höhepunkt singt Ines, von ihrem Vater am E-Piano begleitet, eine wunderbar gefühlvolle und zugleich vielfach gebrochene Version von Whitney Houstons Songklassiker „Greatest love of all“. Erst danach können die Hüllen fallen und kann Ines sich für einen zärtlichen Moment fallen lassen – ins wärmende, schützende Zottelfell des als Kuker verkleideten und damit die bösen Geister vertreibenden Vaters.