Zunächst einmal ist AKIZ‘ Film „Der Nachtmahr“, der erste Teil seiner sogenannten „Dämonischen Trilogie“ über „Geburt, Liebe, Tod“, ein forcierter Angriff auf die Sinneswahrnehmung: In den Stroboskopgewittern, die getaktet werden von harten Technobeats und wüsten Störgeräuschen (Musik u.a. von Alec Empire und Boys Noize), verlieren sich Raum und Zeit und Orientierung. Die in Lichtblitze zerlegte Wirklichkeit erscheint augenblickshaft, die Wahrnehmung ist irritiert. Zwischen Vergessen, Hypnose und Ekstase produzieren die überwältigten Sinne jedoch paradoxerweise eine gesteigerte Wahrnehmung: Wie im Drogenrausch ist das Erleben intensiviert und die Entgrenzung real. Körnige Nachtbilder in Rot und Blau, aufgenommen mit einer Weitwinkel-Optik und unter Verzicht auf künstliche Lichtsetzung, evozieren eine Atmosphäre zwischen Traum und Wirklichkeit, die auch den Zuschauer erfasst. Beeinflusst ist diese, so AKIZ, von der visionären Lyrik seines Vorbilds William Blake, die später auch im Film eine Rolle spielt, und dem expressionistischen Kino der 1920er Jahre.
Diese Täuschung der Sinne korrespondiert wiederum mit einer fortgesetzten Reflexion über das Verhältnis von Realität und Abbildung unter digitalen Bedingungen. Gleich zu Beginn wird die 18-jährige Tina (Carolyn Genzkow) auf einer rasanten Autofahrt zu einer illegalen Poolparty von einer Freundin ihrer Clique mit dem Foto eines fehlgebildeten Säuglings konfrontiert. Ein paar digitale Bearbeitungsklicks später verschmilzt Tinas Portrait mit dieser fremd anmutenden Kreatur, deren gnomhafte Gestalt das titelgebende, bald daraufhin erscheinende Traum-Wesen (eine Reminiszenz an J. H. Füsslis gleichnamiges Gemälde) vorwegnimmt. Tina erkennt sich aber auch in dem Unfallopfer eines Snuff-Videos, das bei der Party herumgereicht wird und zeigt, wie eine junge Frau beim Pinkeln auf der Straße überfahren wird. Ein Schock, der die Grenze von Leben und Tod berührt und Tina, als durchlebte sie im Folgenden eine Nahtoderfahrung, in ein Zwischenreich versetzt.
Ihre vielfach schmerzliche Begegnung mit ihrem anderen Ich führt das empfindsame, verletzliche und als Einzelkind aufgewachsene Mädchen, das von Liebekummer, Eifersucht und einem gestörten Selbstbild geplagt wird, unter Rückschlägen zu sich selbst. Das gefräßige, aber ungefährliche Monster „mit blinden Augen“, dem sie eines Nachts mit Abscheu in der Küche ihres wohlsituierten Elternhauses gegenübersteht und das zunächst nur sie sieht, verkörpert einen realen Alptraum und ist zugleich Spiegelbild ihrer Seele. Diesem nähert sie sich sukzessive an: Gegen die Widerstände und das Unverständnis ihrer etwas schablonenhaft gezeichneten Eltern und gegenüber einem Psychotherapeuten, der „unser Hirn“ als „das größte Mysterium auf Erden“ bezeichnet und damit Tinas Ängste und Verzweiflung als selbstproduzierte Sinnestäuschung klassifiziert. Während die verstörte junge Frau immer mehr zur Außenseiterin wird, kann man nicht nur anhand der Aufdrucke ihrer T-Shirts („Visiones“, „Strength“) ihren Weg zu sich selbst ablesen. Für AKIZ, so scheint es, gleicht dieser einer Neugeburt im kosmischen Kreislauf von Leben und Tod.
Hier gibt es eine weitere kritik zu ‚Der Nachtmahr‘.