Wie müde Froschmänner schleppen sich die vereinzelten Gestalten an Land. Erschöpft sacken sie in sich zusammen. In ihren dunklen, hautengen Anzügen wirken die Taucher, als kämen sie aus einer fernen, fremden Welt; wobei die anonymisierten Körper Gleichheit vortäuschen. Tatsächlich kommen die Männer von der Jagd. In den Tiefen der Ägäis haben sie Beute gemacht, die sie jetzt mit letzter Kraft an den harten Felsen brutal zerschmettern; oder später auf der luxuriösen Jacht ihres reichen Gastgebers stolz für ein Gruppenfoto präsentieren. Wer hat den größten Fisch gefangen? Wie lange lässt sich der Atem anhalten?
Nicht nur beim Fischen oder sportlichen Wettstreit gerieren sich die sechs Männer, die sich Freunde nennen, wie kleine Kinder. Auch beim abendlichen Assoziationsspiel inklusive kleinteiligem Fachsimpeln herrscht eitle Uneinigkeit. Der nachdrücklich eingeforderte „gesunde Menschenverstand“ erweist sich offensichtlich als unzuverlässige Basis. Subjektivität und Egoismus erscheinen als die weitaus wirksameren Triebkräfte.
Unter der Haut aus Neopren verbergen sich also höchst unterschiedliche und widersprüchliche Charaktere, die allenfalls in ihrem Männlichkeitsverständnis einen gemeinsamen Nenner finden. Was vorgeblich gleich ist, besitzt verschiedene Züge; und wo Freunde sind, herrschen Rivalität und Konkurrenz, die sich bald in einer Art totalem Persönlichkeits- und Gesellschaftsspiel austoben dürfen und mitunter in offener Aggression münden.
„Die Frage war, was bedeutet es, ein Ritter im 21. Jahrhundert zu sein“, hat Athina Rachel Tsangari in einem taz-Interview über ihren Film „Chevalier“ gesagt. Der Titel bezeichnet zugleich den Siegelring, der dem Gewinner des perfiden Spiels, in dem es keine wirklichen Gewinner geben kann, versprochen ist. Denn die Stärken der Teilnehmer sind letztlich so banal und bedeutungslos wie ihre Schwächen. Nur das Bewusstsein des sich selbst vergewissernden Egos, das unter permanentem Leistungsdruck unablässig an seiner Selbstoptimierung arbeitet, scheint zu zählen, während sich die Subjekte gegenseitig belauern (oder verlogene Allianzen schmieden) und die Gesamtheit ihrer Lebensäußerungen objektivieren.
Unaufdringlich, fast beiläufig und mit verhaltener Ironie beobachtet Tsangari wie in einem Labor das soziale Verhalten der Spezies Mensch am Beispiel des Mannes. Im Kampf aller gegen alle und jeder für sich selbst ist der Sinn, „bessere Menschen zu werden“, nur eine selbsterhaltende Illusion des Ichs, das den messenden Vergleich braucht, um sich zu unterscheiden. Identität und Differenz bedingen sich gegenseitig und bedürfen deshalb des Spiels, das sich Leben nennt. Doch in und außerhalb von ihm – ob als Beobachter oder Beobachteter – scheint es zwischen Sich-Zeigen und Sich-Verbergen nur Einsamkeit zu geben.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu ‚Chevalier‘.