Kennen Sie die Kleideraufbewahrungssysteme, wo man ganz viel Zeugs in einen Plastiksack quetscht und dann den Staubsauger nimmt, um alles auf wenige Zentimeter Raum einzuvakuumieren? Und wenn man später diesen Plastiksack wieder öffnet, da wird man fast erschlagen durch all das, was zum Vorschein kommt? Dann wissen Sie, wie es Ihnen mit der Tragikkomödie „Ein Mann namens Ove“ gehen könnte. Man verlässt das Kino und denkt sich: Ach, hätten die Filmemacher doch nur eine Serie draus gemacht!
Mit „Ein Mann namens Ove“ hat man sich an die Verfilmung des schwedischen Buch-Bestsellers mit gleichnamigem Titel gewagt, über 500 000 Exemplare sollen alleine in Schweden davon verkauft worden sein, der Roman erscheint außerdem in über 30 Ländern. Held der Geschichte im Buch wie jetzt auch im Film ist Ove, ein grantelnder Stinkstiefel im Rentenalter. Ove (Rolf Lassgard) ist der Typ Mensch, der jeden Regelverstoß als Angriff auf die eigene Person auffasst. In seiner Nachbarschaft tritt Ove als Blockwart auf, dem beim morgendlichen Patrouillengang nichts entgeht: Er notiert Falschparker, überprüft die Mülleimer auf korrektes Recycling und hebt Zigarettenstummel vom Boden auf.
Umso überraschender, dass Ove nicht rebelliert, als er nach 40 Jahren treuer Arbeit in seiner Firma eines Tages einfach so „wegrationalisiert“ werden soll. Mit scheinbarem Gleichmut hört sich Ove die Kündigung an, die ihm zwei aalglatte Anzugträger schmackhaft machen wollen. Tatsächlich ist der Rauswurf aus dem Betrieb für den 62-Jährigen eine Befreiung. Wenige Wochen zuvor ist Oves Ehefrau verstorben, nun gibt es nichts mehr, was ihn auf der Erde noch hält.
Also setzt Ove alles daran, so schnell wie möglich zu sterben. Doch das erweist sich als erstaunlich schwierige Aufgabe. Gleich bei seinem ersten Versuch wird er gestört durch die fröhlich-chaotische Multikulti-Familie, die neu in Oves Nachbarschaft zieht. Plötzlich weiß Ove nicht mehr, was zuerst erledigt werden muss: Zu sterben, oder seine Nachbarn in die Schranken zu weisen, die gerade dabei sind, den nächsten Blödsinn anzustellen.
In seinem Bemühen zu Sterben erinnert Ove an Harold aus „Harold und Maude“, und auch bei Ove scheitert ein Suizidversuch nach dem anderen. Vor allem Oves Nachbarin Parvaneh (Bahar Pars) schafft es, häufig dazwischenzufunken. Sie spürt seine verborgene Melancholie und bindet den kratzbürstigen Rentner kurzerhand in ihr Familienleben ein: spontane Krankenhausbesuche, Babysitting und Fahrstunden mit der Familienkutsche. Ove wird der Mann für alle Notfälle. Und er macht all das mit, weil die junge Nachbarin ihn an seine verstorbene Ehefrau erinnert.
Das erfährt der Kinozuschauer in Rückblenden. Und hier ist man schon beim Hauptproblem des Films angekommen: Er spielt zu wenig in der Jetzt-Zeit. Stattdessen muss sich der Zuschauer durch lange und viele Zeitsprünge durcharbeiten. Das stört gewaltig. Denn erstens fragt man sich, welche Geschichte erzählt werden soll: Geht es um Ove, den miesepetrigen Blockwart? Oder um den Ove aus der Vergangenheit – den rührigen Ehemann, den schüchternen Sohn? So viele Handlungsstränge und Zeitebenen mögen im Roman funktionieren, den Film bremsen sie jedoch. Das Ziel der vielen Rückblenden ist klar – der Zuschauer soll lernen, dass Ove nicht nur ein Anti-Held ist. Sondern eigentlich ein ganz großes Herz hat. Sicherheitshalber wird diese Quintessenz am Film-Ende gleich mehrmals direkt ausgesprochen, sodass man sie selbst mit zwei Promille kapieren würde. Garniert wird dies mit einer Filmmusik, die durch ihr ostentatives Drücken auf die Tränendrüse doch sehr an Rosamunde Pilcher-Filme erinnert.
Fairerweise muss man anmerken, dass sich Regisseur Hannes Holm mit der schlichten Tonalität seines Films konsequent an die Literaturvorlage hält. Denn das Buch „Ein Mann namens Ove“ von Autor Fredrik Backman ist kein Werk schwieriger Worte, und komplizierte Satzkonstruktionen findet man eher auf dem Mond als hier. Oder wie es Spiegel-Redakteure in einer Besprechung zu Backmans Nachfolgeroman auf den Punkt bringen: „Im Vergleich zu diesem Buch sind die Minions Quantenphysik.“
Die besten Momente hat der Film „Ein Mann namens Ove“, wenn die Hauptfigur so richtig fies sein darf. Diese Szenen sind originell, witzig und gut getimt. Darunter Oves Versuch, sich mit einem Strick zu erhängen, und selbiger einfach vom Deckenhaken abreißt. Kurzerhand marschiert Ove in den Baumarkt, wo er den Strick gekauft hat, und fordert sein Geld zurück: „Es hieß doch, der Strick sei universell einsetzbar!“ Eindeutig punkten kann der Film auch mit seinen Hauptdarstellern, allen voran Rolf Lassgard („Kommissar Wallander“), der den Ove spielt. Scheinbar mühelos wechselt Lassgard dabei vom polternden Rüpel zum trauernden Witwer, der ein diffuses Schuldgefühl verdrängen will.
Wer Fan des Buches war, muss beim Film keine Überraschungen fürchten. Man bekommt, was man bestellt – einfach aufbereitete Lebensweisheiten, hübsch fotografiert, am Ende siegt das Gute. Alle anderen Zuschauer werden möglicherweise enttäuscht sein, weil sie nach der Trailer-Vorschau mit mehr Tief- und Abgründigkeit gerechnet hätten. Und wo findet man dann Trost? Bei Filmen wie dem Animationsstreifen „Up“ (2009) oder „St. Vincent“ (2014) mit Bill Murray, die zeigen, wie man die Geschichte „Grantelnder Rentner mit weichem Kern“ um Lichtjahre eleganter erzählen kann.