„Ich verstehe die Worte, aber ich finde sie nicht lustig“: Sidvadhasan (Antonythasan Jesuthasan), der Hausmeister in einer heruntergekommenen Pariser Vorortsiedlung und Heldenfigur in Jaques Audiards Spielfilm „Dheepan – Dämonen und Wunder“, kann nicht viel anfangen mit den Bemerkungen der anderen Männer im Viertel: „Warum gibt’s in ‚Star Trek‘ keine Araber? Weil’s die Zukunft zeigt“. – „Das hat nichts mit Sprache zu tun, sondern mit Humor“, findet Yalini (Kalieaswari Srinivasan). „Und du bist nicht lustig.“
Stimmt: Witz ist Geschmackssache und Sidvadhasan hat wenig zu lachen. Seine Familie hat er im Bürgerkrieg von Sri Lanka verloren. Er selbst war ein Kämpfer der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), der tamilischen Befreiungsarmee.
Von einem Flüchtlingscamp aus hat er für sich einen Neubeginn in Frankreich organisiert. Mit dem Pass eines Toten, Dheepan, und einer Scheinfamilie, bestehend aus Yalini und der neunjährigen Illayaal (Claudine Vinasithamby), schafft er es irgendwie nach Europa. Nun macht er, nach vielen anderen Gelegenheitsjobs, den Hauswart, Yalini übernimmt die Pflege des Vaters vom örtlichen Drogenboss Brahim (Vincent Rottiers). Was er denn da trage, fragt ihn die junge Tamilin und deutet auf seine Beine. Es ist eine elektronische Fußfessel – genaugenommen sitzt der junge Korse im Gefängnis.
Während sich die Erwachsenen auf dem prekären Arbeitsmarkt herumschlagen, macht Scheintochter Illayal in der Integrationsklasse Karriere. Das Kind sorgt für Normalität. Und so basteln die drei aus ihrer Zufallsbekanntschaft in der Not eine halbwegs echte Familie zusammen – der Alltag muss ja laufen. „Wenn du keine Mutter für mich sein kannst, sei eben eine große Schwester“, sagt Illayaal zu Yalini. Hauptsache, es funktioniert.
In Rückblenden wird der Zuschauer mit Szenen des vergangenen Krieges konfrontiert. Die Vergangenheit soll die Protagonisten und hier hauptsächlich den Soldaten nicht loslassen. Der Krieg wird Sidvadhasan auch in Paris nicht loslassen; nein, der Film wird sogar in einer Gewaltorgie à la Quentin Tarantino enden. Wer ist stärker? Die Drogenmafia oder der Soldat der Tamil Tigers? Regisseur Jaques Audiard („Der Geschmack von Rost und Knochen', F 2012) hätte gern, dass die Guten gewinnen, vielleicht die große Schwachstelle des Films: Menschen an der Unterkante der Gesellschaft sind nicht dafür bekannt, viele Wahlmöglichkeiten zu haben.
Wie dem auch sei: Nichts beschäftigt Europa zurzeit mehr als das Thema Flucht. Wie weise Voraussicht wirkt da die Entscheidung der Jury der Filmfestspiele in Cannes um die Filmgebrüder Coen im Mai dieses Jahres, den weltweit wichtigsten Festivalpreis, die Goldene Palme, an einen bizarren Spielfilm zum Thema zu vergeben.
Man hat es ja auch mit einer detaillierten Milieustudie zu tun, die einen vergessenen bzw. einen verschwiegenen Konflikt aufarbeitet: Der Bürgerkrieg zwischen den Bevölkerungsgruppen der Singhalesen und Tamilen hat nie ins Kino gefunden, ja kaum in die Nachrichten: Zu spärlich waren die Informationen.
Dabei gab es seit dem Beginn der Auseinandersetzungen in den achtziger Jahren, Hunderttausende mussten flüchten. In den neunziger Jahren flammten die Kämpfe wieder auf, die sich hauptsächlich um Geländegewinne im Norden der Insel drehten, ehe es im Jahr 2002 zu einem Waffenstillstand zwischen der Regierung und der LTTE kam. Offiziell im Jahr 2011 beendet, füllt der Amnesty Bericht von International zu Sri Lanka auch heute noch viele Seiten – die Stichworte lauten Regierungskriminalität, Tod in Gewahrsam, Folter, Verschwinden lassen. Diskriminierungen und Schikane sind aber weiterhin an der Tagesordnung. Tamilen werden – vor allem, wenn sie aus dem Norden des Landes kommen – von Sicherheitskräften unter Terrorverdacht schikaniert und festgenommen.
Umgekehrt blieb die LTTE auch nicht untätig und wird vieler Verbrechen beschuldigt. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen beschuldigt beide Konfliktparteien schwerer Menschenrechtsverstöße und fordert die Einrichtung eines internationalen Tribunals. Nun sollen immerhin Wahrheitskommissionen eingerichtet werden.
Audiards Film stellt eine Figur in den Mittelpunkt, die durch Krieg und Gewalt traumatisiert ist, auf dessen Vergangenheit nicht einfach ein neues Leben folgen kann. Sei es, dass ehemalige Kriegskameraden bei Sidvadhasan auftauchen, sei es, dass sich die Konflikte mit der Drogenmafia verstärken. Im ersten Fall bekommt er eine Ohrfeige und die Aufforderung, Waffen zu organisieren. Im zweiten Fall sieht sich Sidvadhasan der rassistischen Hackordnung ausgesetzt („Du bist tot, Mowgli“).
Audiard versucht, dies in eindrückliche Bilder zu bringen. Sein Held weiß, welche Fähigkeiten zu töten, in ihm stecken. Und so zieht er, Hausmeister und Platzwart, der er ist, einfach Linien durch das Quartier wie auf dem Fußballfeld. Ihr kommt so langsam in den Strafraum, scheint er den Kleinkriminellen mitteilen zu wollen.
Protagonisten sind hier Täter und Opfer zugleich. Für die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung hat Audiard einen ganz besonderen Charakter für die Hauptrolle gecastet. Antonythasan Jesuthasan trat selbst als Jugendlicher dem tamilischen Widerstand bei; bis zu seinem 19. Lebensjahr war er als Kindersoldat in die Kämpfe involviert. Dann flieht er über Thailand nach Frankreich, wo man ihm politisches Asyl gewährt.
Er schlägt sich mit Jobs durch, im Supermarkt, als Koch, in Disneyland, fliegender Händler und nicht zuletzt als Hausmeister – Stationen des prekären Wirtschaftens, wie man ihnen auch im Film begegnet. Parallel beginnt er eine Karriere als Schriftsteller und Schauspieler, verfasst Kurzgeschichten, Theaterstücke, Literaturkritiken. Es folgt der Roman „Gorilla“, indem er sich mit seiner Geschichte auseinandersetzt – das erste Mal, dass ein Kämpfer der Tamil Tigers über den Krieg schreibt.
Als unechter Dheepan stapft er durch das ungewohnte Paris, er schaut verloren aus in diesem Film. Es sind spröde Bilder in und zwischen düsteren Wohnblocks, die Sonne kommt nur selten mal heraus. Das Filmmaterial wirkt körnig, die Ausleuchtung ist spärlich – fast wie einen Dokumentarfilm schaut man sich „Dheepan“ an. Als stilistisches Element kommt das Bild eine bemalten Elefanten zum Einsatz; es deutet Kontraste an zwischen altem und neuem Elend. Dämonen und Wunder, wie der deutsche Filmtitel verheißt, dominieren hier zumindest nicht als romantisch-bunte Beigaben. Hier wird mehr verzeichnet statt ausgemalt.
Welche Art Film ist das, dieser erste Spielfilm über den Bürgerkrieg von Sri Lanka? Einer der Darstellungskunst, der Schauspieler, glaubt der Regisseur dennoch: „Mit ihnen fand ich wieder zur ursprünglichen Idee des Projekts zurück: Einen Genrefilm mit ausländischen Schauspielern zu machen und dass deren Anderssein in das Genre eintritt.“ Ihre innere Entwicklung und die der von ihnen gespielten Figuren sei ausschlaggebend für den Film.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Amnesty International Journal