Das nennt man wohl virales Marketing! Als ich seinerzeit leicht ennuiert aus der Pressevorführung kam, dachte ich bei mir: „Da will eine mittlerweile ziemlich etablierte Szene noch mal etwas Wind machen, indem sie sich ihrer rebellischen Wurzeln versichert. Und dies, indem sie diese Wurzeln nur fiktional herzustellen vermag. Luftwurzeln. Ganz schön verstrahlt.“ Und jetzt, nur wenige Wochen später, tobt in die bundesdeutschen Feuilletons geradezu ein Battle zwischen Jan »Pol1z1stensohn« Böhmermann, Haftbefehl und ihren jeweiligen Fans, in dem es tatsächlich um Klassenkampf, kulturelle Enteignung, Rassismus, Legitimität und „racial profiling“ geht. Besonders spannend dabei: die Schnittmenge unter den Fans, die sowohl Böhmermann als auch Haftbefehl gut finden und sich dem Battle eher mit Humor nähern. Das ist richtig old school, denn genau dieser Ansatz, sich HipHop mit Humor und einer gewissen selbstreflexiven Distanz zu nähern, steht am Beginn der Karriere des Gymnasiasten-Rap der Fantas, der Brote oder auch Fischmob. Und genau dieser Ansatz fehlt dem Film „Blacktape“, was dem Film jede Menge unfreiwilligen Humor verschafft. Worum geht’s?
Im Rahmen einer konventionellen Recherche zur Geschichte des deutschsprachigen HipHop wird das Team, bestehend aus dem Filmemacher und Ex-„Freundeskreis“-Mitglied Sékou Neblett und den beiden Journalisten und Szene-Insidern Marcus Staiger (der auch bei der aktuellen Debatte ganz vorne mit dabei ist) und Falk Schacht, von einer Postsendung und geheimnisvollen E-Mails überrascht. Es finden sich Hinweise auf die Existenz eines mysteriösen Rappers, dessen provokanter Debüt-Auftritt 1986 in einer US-Kaserne in Heidelberg einen regelrechten Aufruhr auslöste. Ist Tigon, so der Name, der erste Rapper gewesen, der auf Deutsch rappte? Muss die Musikgeschichte jetzt komplett neu geschrieben werden? Das Team macht sich auf die Suche, reist durch die Republik und wird immer mal wieder von Tigon kontaktiert.
„Blacktape“ kleidet die Geschichte des deutschsprachigen HipHop ins Gewand einer investigativen Archäologie, deren Kern sich allerdings viel zu schnell als Mockumentary erweist. Mit viel Talking Heads aus der Szene-Prominenz werden einschlägige Debatten um Realness und Independent-Ethik noch einmal skizziert, geht es noch einmal um die Konflikte zwischen Gymnasiasten-HipHop aus Hamburg und Stuttgart und Straßen-HipHop aus Frankfurt und Berlin. Insbesondere der Polit-Aktivist Marcus Staiger machte sich als forcierter Gegner des Gymnasiasten-HipHop einen Namen, bot früh Rappern wie Kool Savas und Sido eine Plattform und gründete das Label „Royal Bunker“. Staiger musste allerdings auch erleben, dass viele der von ihm geförderten Künstler sich den lukrativeren Angeboten seitens der Major-Labels locken ließen. Im Hintergrund zieht „Universal“-A&R Neffi Temur als Dr. Mabuse des deutschen HipHop die Fäden.
„Blacktape“ gelingt leider zu keinem Zeitpunkt eine Balance zwischen einer Distanz zum Gegenstand und dem Kokettieren mit der insiderhaften Nähe zur Szene. Insbesondere der fiktive Part der Suche nach Tigon leidet darunter, dass deren Bedeutung für die beiden Protagonisten eher behauptet als dargestellt wird. Was auch damit zusammenhängen mag, dass Staiger und Schacht eben keine Schauspieler sondern eher Selbst-Darsteller sind, deren Konflikte und Bedenkenträgerei vor laufender Kamera mal eitel, mal unverständlich, aber immer zuverlässig albern erscheinen.
Wenn die Suche nach den Roots mal wieder frustig wird, schaltet der Film schnell auf die Psycho-Ebene um. Dann wirft Falk Marcus vor, HipHop nicht mehr für ein Überlebensmittel zu halten, nur weil dieser wimmernd Heimweh hat. Nicht jeder Homie weiß, was es bedeutet, wenn man Familie hat!
Zudem gefällt sich der Film darin, die Bedeutung der ganzen Szene etwas hoch zu hängen, wenn der Auftritt in der US-Kaserne in behauptete oder zumindest sehr schlecht recherchierte politische Zusammenhänge gestellt wird. So wird die angespannte politische Situation um 1986 (Stichworte: Lockerbie, Diskothek „La Belle“) mit Archivmaterial aus den siebziger Jahren wie beispielsweise der Verhaftung von Holger Meins »verschnitten«. Weil der gesuchte Tigon auch noch als Graffiti-Künstler tätig war, kann der Film, um überhaupt auf Abend füllende Länge zu kommen, auch noch den befreundeten Künstler und Exzentrik-Darsteller Jaybo aka Monk einwechseln, der die Protagonisten zu längst verblichenen Hinweisen führen kann.
Und schließlich kommt auch noch eine Portion Paranoia ins Spiel, weil plötzlich auch andere Personen (Neffi? NSA? CIA? das Monster von Loch Ness?) Interesse an Tigon zu haben scheinen, was schließlich zu einem Besuch bei einem pensionierten Staatsschützer im Schwäbischen führt, der natürlich über entscheidendes Aktenmaterial in seinem Privatarchiv verfügt. Als es am Ende dieser prätentiösen, jedem Einfall folgenden Schnitzeljagd, bei der Schüler-Theater vorgibt, „Kino“ zu sein, sogar noch zu einem Comeback-Auftritt von Tigon kommt, erleben alle Beteiligten im Rahmen einer fast schon familiären Party eine große Überraschung und eine Botschaft, die zum Starttermin des Films passt: Battle Rap wird auch nicht so heiß gegessen wie er gekocht wird.
Gemeinsam wird hoch symbolisch so manches Kriegsbeil von Anno Stein begraben. Man ist schließlich keine 17 mehr. Hier schließt sich der Kreis, denn genau diese Botschaft wird ja durch das virale Marketing aktuell dementiert. Oder zumindest dementierend behauptet. Denn man will ja nicht ausschließen, dass »Pol1z1stensohn« Böhmermann und »CopKKKilla« Hafti sich bestens verstehen, wenn sie sich musikalisch über herrschenden Rassismus bei der Exekutive austauschen. Wie schreibt Falk Schacht auf Facebook so schön: „Satire ist ein Mienenfeld voller Metaebenen.“