Ein Film, der dich buchstäblich mitnimmt. Auf die Reise des dementen 90jährigen vom Pflegeheim in New York nach Kanada. Auf der Suche nach untergetauchten Auschwitzmördern, gleichaltrigen. Erinnern kann der alte Mann sich nicht. Er wird dirigiert von einem gehandicapten Freund in der Pflegestation: „Du hast versprochen, den zu töten, der deine Familie in Auschwitz getötet hat. Wiesenthal wollte, dass alle gefasst werden“. – Wir bleiben den Film hindurch bei wenigen handelnden Personen. Der armenisch-kanadische Regisseur Egoyan (Ararat, Das süße Jenseits) hat einen Porträtfilm gemacht. Einen Basisfilm. Niemand redet von außen rein. Niemand gibt schlaue Ratschläge. Niemand setzt zur Verteidigung an. Die beiden Alten nehmen die Rachereise allein in die Hand. Eine 9-mm-Pistole ist dabei.
Christopher Plummer, die KZ-Nummer auf dem Unterarm, hat unser aller Sympathie. Ja, ich bin überzeugt, dass ich für alle spreche. Ich war in den Film involviert. Bis auf die letzten hundert Sekunden vor Schuss und Schluss. Was ist passiert? Hallo? Eine wahrhaft biblische Rache. Sie sprengt die Dimensionen, die der 90-Minuten-Film angelegt hatte. Sehr ärgerlich, dass ich hier nichts Konkreteres sagen kann und will. Ein Kritiker tut so was nicht. Aber über mich selbst darf ich ein Wort sagen. Nämlich dass es mir noch nie so gegangen ist, dass ein Film mir nach seinem Ende so nahe gegangen ist. Er wird mich auch in Zukunft beschäftigen. Aber da ich mich nicht weiter wiederholen will, sei dem kanadischen Regisseur Egoyan für das Rezeptionsabenteuer ausdrücklich gedankt.
Wie weit weg sind wir von Filmen, in denen Opfer und Täter nicht zu Wort kommen, sondern nur über sie geredet wird. Die Erinnerung, heute, stellt sie sich wieder ein, kann eine Waffe sein, 9 mm oder wie auch immer. Und bitte schön, wie kommt die Erinnerung zustande? Es fehlt nicht an Details. Ein State Trooper in Uniform präsentiert eine Erstausgabe von „Mein Kampf“, Fraktur und für 6000 Dollar erworben, Ein Schnäppchen. Die SS-Uniform samt Hakenkreuzbinde hängt im Schrank. Wow. “Mit diesem Hammer hat mein Dad in der Kristallnacht Scheiben eingeschlagen“. Jei, da braucht sich einer nicht zu erinnern. Für den Polizistensohn ist das Gegenwart.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 1/2016
Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Remember'.