Die Mutter liegt im Sterben, ihre Arbeit macht keinen Sinn mehr, die Welt um sie herum zerfällt. In „Mia Madre“ erzählt Regisseur Nanni Moretti vom Einbruch des Unmöglichen in das Leben einer Frau, deren Gefühlswelt so schwierig und komplex ist wie das moderne Leben selbst.
Margherita ist Filmregisseurin und wird während der Dreharbeiten zu ihrem neuen Film, der sich dem Thema Hoffnung verschrieben hat, mit dem traurigen Abschied von ihrer Mutter konfrontiert. Die alte Frau liegt bereits im Krankenhaus, ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann sie sterben wird. Margherita und ihr Bruder Giovanni kümmern sich anrührend um die ältere Frau. In gegenseitiger Zuneigung, und trotz der großen Fragen und Ängste, die der bevorstehende Tod der Mutter aufwirft, versuchen die Geschwister ihr Leben, so gut es eben geht, weiterzuleben. Im Lauf der Geschichte wird schnell klar, dass beide damit restlos überfordert sind.
Während sich Giovanni eine Auszeit vom Berufsleben nimmt und versucht auf die Ereignisse mit kühl-nüchterner Gefasstheit zu reagieren, stürzt sich Margherita in die Arbeit an ihrem Film, ein plakativ und hölzern wirkendes Sozialdrama um den Arbeitskampf in einer Fabrik. Das ganze Projekt stellt sich immer mehr als nervenaufreibend und sinnlos heraus, nicht nur, weil sich die Regisseurin mit vergesslichen, exzentrischen Schauspielern herumschlagen muss, sondern zunehmend mit sich selbst, ihren Gefühlen, ihrer Verzweiflung und sogar ihren eigenen Regieanweisungen. Man weiß nicht, was sie da tut, und sie selbst weiß es auch nicht. Dass sie sich von ihrem Freund getrennt hat und ihr die Tochter zu entgleiten droht, komplettiert die Krise. Der Boden unter ihren Füßen wird zusehends weggezogen, nicht schnell und ruckartig, sondern langsam und unbemerkt, so als brauche die schreckliche Gewissheit um das Bevorstehende eine Weile, bis sie in ihre Welt eingedrungen ist.
„Mia Madre“ erzählt auch davon, sich selbst nicht mehr zu vertrauen, den Blick für die Umgebung zu verlieren, und das in einer Welt, in der man abliefern, höflich sein und funktionieren muss. Auch wenn die eigene Mutter im Sterben liegt. Die Welt macht es ihr vor, denn sie dreht sich einfach weiter. Wenn man die Zeit anhalten oder zurückspulen möchte, so wie Margherita, gerät das Leben plötzlich ins Strudeln. Hoffnung, Verzweiflung, Angst und Frustration wechseln sich von Minute zu Minute ab. Die Zustände absoluter Empfindsamkeit und Durchlässigkeit, die keine Trennung nach Arbeit, Familie, Beziehung, keine Grenzen zwischen Wirklichkeit und Projektion, und keine Dramaturgie mehr kennen, macht der Film auf eindringliche Weise spürbar. Nanni Moretti zeigt dieses Gefühlschaos, ohne die Distanz zu seiner Hauptfigur zu verlieren, ohne in Schmerzprosa oder Gefühlspathos zu verfallen. Immer mit einem verständnisvollen Blick für die Unzulänglichkeiten und Schwächen des Menschen.
Die Frage, was nach dem Tod von einem Leben übrig bleibt, schwebt über dem Film und durchzieht alle Bereiche seiner Protagonisten. Besonders greifbar wird sie in der Wohnung der Mutter. Dort wartet stumm das zu Büchern und Notizen aufgetürmte Lebenswerk einer Gelehrten, die ihr Leben dem Wissen und den Büchern gewidmet hat, dessen Ordnung und Struktur aber mit dem dahinsiechenden Geist der Mutter abhanden kommen wird. Unzählige Stunden in der Bibliothek, die Regale voller Bücher, wohin versickert all diese Energie und Anstrengung? Am Ende des Films landet das materielle Spiegelbild dieses Geistes in grauen, unbeschrifteten Kartons. In diesem Bild zeigt sich die schwer erträgliche Wahrheit. Der Tod ist beides, die große Unmöglichkeit, und der vom Leben erzwungene Versuch, irgendwie damit umzugehen.
Weil Nanni Moretti um beide Seiten der menschlichen Existenz, die tragische und die komödiantische, bemüht ist und das Ineinandergreifen der Stimmungen perfekt beherrscht, wirkt der Film alles andere als schwer und gefühlsbeladen, sondern wird von einer für den Regisseur typischen Leichtigkeit und Komik beschwingt. Wenn man so will, ist „Mia Madre“ nicht nur eine Hommage ans Kino und ans Familienleben, sondern eine Art Gegenentwurf zu Michael Hanekes „Liebe“. Nicht im sorgsamen Umgang der filmischen Mittel oder in der inszenatorischen Entschiedenheit, sondern im Zugang zu den großen Fragen um Tod und Vergänglichkeit. „Mia Madre“ beweist, das man ein filmisches Gemälde des Sterbens nicht nur mit intellektueller Entschlossenheit, Restriktion und Konzentration zeichnen kann, sondern eben auch mit etwas mehr Zärtlichkeit, Gefühl und dem Glauben an würdevolle Bilder.