Am Anfang von Giulio Ricciarellis Historiendrama „Im Labyrinth des Schweigens“ konfrontiert ein Journalist Zeitgenossen mit der Frage nach dem Vernichtungslager Auschwitz – und schaut nur in fragende Gesichter. Gut 50 Jahre später stöhnen die Schüler in Bora Dagtekins Erfolgskomödie „Fack ju Göthe“ entnervt: „Boah, nicht schon wieder KZ!“.
Zwischen dem Sendungsbewusstsein gut meinender Pädagogen, die ihren Schülern den Holocaust so eintrichtern, wie man Kinder zum Essen von Graubrot zwingt, und dem Totschweigen gibt es eine große Spannweite. In diesem Feld könnte man auch die Person Fritz Bauers situieren, der die Frankfurter Auschwitz-Prozesse – und damit in Deutschland endlich die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust – erzwang.
Während „Im Labyrinth des Schweigens“ die Ereignisse um die Frankfurter Auschwitz-Prozesse aufrollt, die Figur Bauers dabei aber in den Hintergrund rückt, greifen Lars Kraume und sein Koautor Oliver Guez die weniger bekannte Vorgeschichte der juristischen Aufarbeitung der Nazivergangenheit auf. Dabei erinnert das Porträt nicht nur daran, dass Bauer an der Auffindung Adolf Eichmanns maßgeblich beteiligt war (was erst nach seinem Tod bekannt wurde). Es zeigt auch den verletzlichen Menschen aus einer – zumindest im Kino – neuen Sichtweise.
Zu Beginn ertrinkt Fritz Bauer (Burghart Klaußner) unter Alkohol- und Tabletteneinfluss beinahe in der eigenen Badewanne. Seinem untergebenen Kollegen Kreidler (Sebastian Blomberg) und dem Polizeikommissar Gebhardt (Jörg Schüttauf) kommt der vermeintliche Selbstmordversuch sehr gelegen. Die beiden sabotieren Bauers Arbeit nach Kräften. Der „General“, wie er genannt wird, will nämlich den abgetauchten Holocaust-Planer Adolf Eichmann auffinden und in Frankfurt vor ein Gericht stellen. Gelänge ihm dies, dann würden dessen Aussagen zwangsläufig zahlreiche Altnazis bis hinauf zu Adenauers rechter Hand Hans Globke schwer belasten. Eine kurze Einblendung von Kreidlers luxuriösem Landhaus führt braune Karrieren im Wirtschaftswunder-Deutschland vor Augen.
Bauer weiß nur zu gut, dass er sich auf seine Kollegen nicht verlassen kann, in seiner eigenen Behörde verschwinden ständig Akten. Allein der junge Staatsanwalt Angermann (Roland Zehrfeld) erweist sich als solidarisch. Was auch daran liegt, dass beide schwul sind und ihre sexuelle Orientierung verbergen müssen. Mit dieser fiktiven Figur erinnert der Film daran, dass das Ausleben homosexueller Praktiken im düsteren Deutschland der späten 50er Jahre noch unter Strafe steht. Erst ab 1969 wird Homosexualität schrittweise entkriminalisiert.
Für den Film ist das ein Schlüsselthema. Er deutet nicht nur an, wie Angermann seine sexuelle Orientierung mittels einer prekären Ehe verbirgt, deren „Pflichten“ er nicht so recht einzuhalten vermag. Kraume und Guez verdeutlichen zudem, dass Bauer neben seinem politischen Kampf gegen Nazi-Seilschaften auch noch gegen deren Versuche gefeit sein musste, ihm aufgrund seiner Homosexualität eine Falle zu stellen. Ob er tatsächlich schwul war, weiß man zwar nicht mir Sicherheit – tatsächlich wurde er nur einmal im dänischen Exil bei der dortigen Sittenpolizei auffällig. Entsprechend subtil greift der Film dieses Thema auf: In einer „Spiegel“-Anzeige betrachtet Bauer modisch karierte Socken, die er wenig später am Fuß seines jungen Kollegen wieder entdeckt. Hier werden homophile Codes augenzwinkernd angedeutet.
In einem beiläufigen Dialog erklärt Bauer schließlich, dass ein Homosexueller, wird er das erste Mal mit einem Transvestiten-Stricher erwischt, sich damit herausreden könne, er habe nicht gewusst, dass er es nicht mit einer Frau zu tun gehabt habe. Beim zweiten Mal funktioniere das nicht mehr. Nachdem der junge Angermann in einen solchen Hinterhalt gelockt wird, erpresst man ihn, Bauer zu verraten. Die zentrale dramatische Konfliktsituation ist nämlich darauf zugespitzt, dass der Generalstaatsanwalt zur Ergreifung Eichmanns mit dem israelischen Geheimdienst Mossad kooperieren muss. Juristisch gesehen ist dieser schwule Jude, der den Nazis an den Kragen will, also obendrein noch ein Landesverräter.
Dass moralisch integere Kämpfer ihr Land zuweilen verraten müssen, um ihm zu dienen – dieses Erzählmuster kennt man aus patriotischen amerikanischen Polit-Thrillern zur Genüge. Auch die Wendung, dass der junge Angermann sich opfert, weil er weiß, dass die künftige Arbeit seines Vorgesetzten – die in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen gipfeln wird – wichtiger ist als sein persönliches Schicksal, kennt man aus Hollywood-Melodramen. In „Der Staat gegen Fritz Bauer“ wirken diese Schemata einigermaßen überzeugend, weil die politische Dimension mit der Homophobie der Adenauer-Ära ineinander gespiegelt wird.
Der Film schnürt ein großes thematisches Paket mit einer gewissen inszenatorischen Eleganz. Er ist nicht, wie man vielleicht denken könnte, nur „gut gemeint“, sondern gut gemacht – auch wenn die Autos wie üblich ein wenig zu geleckt aussehen. Dass die zugespitzten Dialoge zuweilen etwas thesenhaft wirken und es in der Dramaturgie hier und da etwas hakt, merkt man erst nach dem zweiten Ansehen. Die dezente, an Miles Davis erinnernde Jazz-Untermalung drängt sich ebenso wenig in den Vordergrund wie die Ausstattung von Bauers Büro mit der psychedelischen Tapete, die sich an ein bekanntes Foto anlehnt.
Mit einfachen aber wirkungsvollen Mitteln wird Fritz Bauer als einsamer, etwas schroffer Mensch gezeigt, der wie die meisten Männer in den 50ern recht verlebt wirkt. Der Vorspann zeigt einen Archivfilm, in dem er unruhig auf dem Stuhl hin und her rückt, während er ein Thesenpapier abliest. In einem authentischen Fernsehinterview, das der Film vordatiert, um es in die Handlung einzufügen, erklärt Bauer, dass wir weder auf unsere deutschen Wälder, noch auf den berühmten Dichterfürsten stolz sein können – wobei er hier gewissermaßen auch „Fack ju Göthe“ vorwegnimmt –, sondern nur darauf, was der einzelne tut. Gemeint ist jene Zivilcourage, die der Film minuziös vor Augen führt. Burghart Klaußner verwandelt sich diesem Juristen mit großer Glaubwürdigkeit an – auch wenn man zuweilen das Haarspray in seiner zurück gekämmten Frisur zu sehen meint. Neben Roland Zehrfeld als jungem Anwalt überzeugt vor allem Sebastian Blomberg als reptilienartiger Altnazi mit Fistelstimme.
Im Gegensatz zu „Im Labyrinth des Schweigens“ ist Kraumes Film nüchterner. Ricciarelli wählt den emotionalen Zugang. Wenn Hansi Jochmann als Sekretärin den Bericht eines KZ-Überlebenen protokolliert, dann kommen ihr die Tränen. Solche Szenen gibt es in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ nicht. Die elliptische Erzählform wirft den Zuschauer mitten hinein in ein komplexes historisches Geflecht, durchquert dabei das eigentliche Labyrinth des Schweigens, dessen vielfältige Bezüge erst nach und nach aufgedröselt werden. Dennoch sollte man beide Filme, die jeweils ihre Stärken und Schwächen haben, nicht gegeneinander abwägen, sondern als unterschiedliche Zugänge zur Kenntnis nehmen.
Hier finden Sie ein Interview mit Regisseur Lars Kraume.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Der Staat gegen Fritz Bauer'.