Am Wochenende war ich in meinem Heimatort. Rund 20 000 Menschen leben hier, irgendwo in der Mitte Deutschlands. Der Alltag in meinem Heimatort ist gut sortiert und skandalfrei. Die Vorgärten werden gepflegt, auf der Straße grüßt man sich, Hausfrauen treffen sich zum Kaffeeklatsch in der Dorfbäckerei, und die Feierabende verbringt man im Schoße der Familie. Notgedrungen, denn eine richtige Bar oder Disko gibt‘s hier nicht. Die Jugend muss sich folglich auf dem Platz in der Dorfmitte langweilen, direkt vor dem Dönerladen sitzt sie, raucht und träumt vom Führerschein. Die Polizeistation muss der gemütlichste Arbeitsplatz überhaupt sein. Denn das größte Verbrechen, das in meinem Heimatort passiert, ist wenn samstags der Bürgersteig nicht gekehrt wird.
Genau so ein Setting liegt der deutschen Komödie „Schmidts Katze“ zu Grunde, die Geschichte ist im Schwäbischen angesiedelt. Hauptfigur ist Werner Schmidt (Michael Lott), Mitte 40, ledig, keine Kinder. Seit seine pflegebedürftige Mutter gestorben ist, besteht der Lebensinhalt von Werner aus seiner Arbeit im Baumarkt. Als Verkäufer stellt er gewissenhaft Klobürsten in Reih und Glied, sortiert Schrauben oder flüchtet sich mit seinem Verkäufer-Kumpel Uwe (Michael Kessler) in eine Sauna, die mitten in der Verkaufshalle steht. Hier können sie ungestört über Banalitäten des Tages schwadronieren. Oder darüber, wie Dauer-Single Werner wieder an eine Frau kommen kann. Denn Werner, das meint zumindest sein Kumpel Uwe, muss endlich aus seinem eintönigen Leben befreit werden. Doch ganz so ruhig plätschert dieses Leben nicht vor sich hin. Werner hat schon längst seine Therapie gegen Trübsinn gefunden: Er lässt Autos explodieren! Nachts, wenn alles schläft im schwäbischen Örtchen, schleicht Werner durch die Straßen und lässt seinen pyromanischen Eifer an Nobel-Karossen aus. Und mit diesem Geheimnis hat er das Zeug zu einer formidablen Hauptfigur: Ausgerechnet im Schwabenländle das heiligste Gut der Deutschen in die Luft zu jagen, diese Chuzpe muss man erst mal haben!
Eines Nachts zündelt Werner wieder, aber dieses Mal – oh weh! – befindet sich noch ein Mensch im abgestellten Auto. Eine junge Frau, Sibylle (Christiane Seidel), die Werner keuchend vor dem Flammentod rettet und zu sich nach Hause schleift. Dort erwacht Sibylle aus ihrer Bewusstlosigkeit und brät Werner erst einmal eins über. Hier wird klar: Es ist kein zartes Pflänzchen, das Werner da aus dem Auto gerettet hat. Und dann fordert Sibylle auch noch, bei Werner für ein paar Tage Unterschlupf zu finden.
Jetzt hat Werner also eine Frau im Haus, aber eine, die er gar nicht haben will. Aus Angst, dass sie sein Feuerzündeln verrät, willigt Werner jedoch in die unfreiwillige Wohngemeinschaft ein. Zeitgleich entscheidet sein Kumpel Werner, eine „Bürgerwehr“ zu gründen, um den Auto-Pyromanen dingfest zu machen. Jetzt steht Werner gleich vor zwei Herausforderungen: Die Bürgerwehr vom wahren Täter ablenken – sprich von sich selbst. Und mit seiner neuen Mitbewohnerin Sibylle zurecht zu kommen.
Schön hätte man sich an dieser Stelle auf Uwes Doppelleben und die Eigenheiten des schwäbischen Mikrokosmos konzentrieren können. Doch plötzlich passiert zu viel auf einmal. Denn nicht nur Werner bekommt von den Filmemachern kriminelle Abgründe verpasst. Sondern auch seine neue Mitbewohnerin. Diese besitzt eine Schneekugel-Manufaktur, und aus irgendeinem Grund kommen ihr die schwäbische Immobilien-Mafia und asiatische Investoren in die Quere. Jeder erpresst hier jeden, eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, und plötzlich hängt Werner mitten drin. Überblick ist Fehlanzeige in diesem Durcheinander, und das ist aus mehreren Gründen schade.
Es bleibt keine Zeit, zu verstehen, was Sibylle als Mensch ausmacht und warum sie in derart krummen Geschäften steckt. Als Figur bleibt sie dadurch fremd. Und deswegen fällt es schwer, richtig mitzufiebern bei der Liebesgeschichte, die sich zwischen Werner und Sibylle entfaltet. Ja, es werden vom Drehbuch romantische Szenen entworfen, diese sind aber wie vom Reißbrett und füllen sich nicht mit Gefühl. Nicht, als sich Werner und Sibylle in seiner Küche bei der Zubereitung eines „Trollinger-Daiquiris“ fast küssen, nicht, als beide in Sibylles Schneekugel-Fabrik unter einem künstlichen Sternenhimmel liegen und Sibylle künstlichen Schnee herunterrieseln lässt.
Weil Werner so beschäftigt ist, Sibylle aus den Händen ihrer Verfolger zu retten, verliert man seine Probleme aus dem Blick. Sein Zündeln und sein Ausweichen vor der Nachbarschafts-Wehrmacht. Ein Pyroman in einem schwäbischen Provinznest, aus dieser Fallhöhe, aus diesem wunderbar komödiantischen Potential hätte man mehr rausholen können. Mit weniger Handlungssträngen.
Nach der schwäbischen Kino-Produktion „Die Kirche bleibt im Dorf“ von Ulrike Grote (2012) betritt nun auch Regisseur Marc Schlegel mit seinem Debüt-Film „Schmidts Katze“ ein Terrain, das bislang die Bayern großzügig besetzt haben: die Regionalkomödie. Filme wie „Wer früher stirbt, ist länger tot“ (2006), „Eine ganz heiße Nummer“ (2011) und „Sommer in Orange“ (2011) eroberten ein Publikum jenseits des Weißwurscht-Äquators und zeigten, dass Mundart-Klamauk nicht nur den Einheimischen gefällt.
Punkten kann der Film mit seinem hervorragend aufeinander abgestimmten Cast, fast alles Gesichter, die man aus der deutschen TV-Comedy-Landschaft kennt (neben Michael Kessler u.a. Tom Gerhardt, Désirée Nick und Volker Michalowski). Die Dialogsätze, die sich die Schauspieler gegenseitig zuspielen, sind treffsicher und wie auf den Leib geschneidert. Hier liegen eindeutig die Stärken des Drehbuchs. Viele Lacher im Kinosaal erntet gleich der Einstieg, als Werner vom seinem Kumpel Uwe Tipps für das abendliche Speed-Dating in der Kegelhalle bekommt. „Sei selbstbewusschd, du musschd Erotik ausstrahle!“ Konkret bedeutet das für Uwe: „Erwähn dein Haus, mit Betongold bischt du der King!“
Die besten Momente hat die Komödie, wenn es um das Thema Nachbarschaft geht. Diese sind in „Schmidts Katze“ Fluch und Segen zugleich. Denn Nachbarn sind immer da. Wenn man sie gerade nicht braucht, weil man etwas verheimlichen will. Aber eben auch in Krisenzeiten wie am Ende des Films, als Uwe, dieser Prototyp eines proletenhaften Haudraufs, plötzlich ganz still wird und man spürt, dass seine Freundschaft zu Werner jeden Abgrund überwindet. Da kommt echte „Bro-Romantik“ auf!
„Schmidts Katze“ wurde ursprünglich fürs Fernsehen (SWR) konzipiert, und vielleicht passt der Film hier auch besser hin. Mit Spannung und Humor, die gefallen, einen aber nicht so atemlos machen, dass fürs Chips auffüllen und Bierholen keine Zeit bleiben würde. „Schmidts Katze“ ist wie das Leben in meinem Heimatort. Wenn man richtig steil gehen will, muss man woanders hin.