Das ist keine Lücke, kein Eindringen in die Welt. Sie hat sich von Rick entfernt und in ihr geschäftiges, buntes Treiben eingeschlossen, ohne Öffnung, ohne Möglichkeit, dort hineinzugelangen. Rick versucht es, mit allen Mitteln, doch bleibt er vom existentiellen Gefühl der Bedeutsamkeit und Tiefe eines Lebens, seines Lebens, ausgesperrt. Je mehr er sich dem Rausch und dem Exzess hingibt, umso ausgepumpter und leerer wirkt er. Der neue Film von Regisseur Terrence Malick handelt von der Sinnsuche eines freudlosen Hedonisten, der die innere Leere und totale Langeweile umso deutlicher spürt, je mehr er sich mit Cocktailpartys und erotischen Abenteuern davon abzulenken versucht. Wie die Tarot-Figur des „Knight of Cups“ kommt der melancholische Ritter stets mit leeren Händen nach Hause. Obwohl er doch alles zu haben scheint.
Rick (Christian Bale) ist kreativ, erfolgreich und gutaussehend. Er lebt in Los Angeles, hängt auf Foto-Sessions oder in Studiolandschaften rum und arbeitet für die Kreativindustrie, als Comedy-Drehbuchschreiber. Er führt sozusagen das Leben, das sich so mancher erträumt, randgefüllt mit Spaß und exquisitem Vergnügen: Schickes Appartement, Cabriolet, Gartenpartys, sexuelle Eskapaden mit Models – dazu am Strand noch ein Appartement, und noch ein Model. Es kann in „Knight of Cups“ gar nicht genug Hedonismus und Erlebnisgenuss aufgefahren werden, um dem Zuschauer einzutrichtern, dass Rick trotz aller (sich wiederholenden) Bemühungen, in Hotelzimmern und an Sonnenuntergangsstränden am Leben teilzunehmen, in diesem von Freude und Lebendigkeit abgeschnitten bleiben wird. Grund: die Sinnkrise hat sich schon zu weit in ihm vorgefressen. Auch abseits des Trubels gibt es keine Rettung, denn als Rick aus dem Rummel der Hochhäuser und Drogenpartys in die Stille und Erhabenheit der Wüste flieht, stößt er dort nur noch auf mehr Fragen, in ihm versteht sich.
Man mag schnell die gescheiterte Beziehung zu seiner Frau (Cate Blanchett) als eine der möglichen Ursachen für seine Melancholie und Tristesse ausmachen – oder gar sein gestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht insgesamt, das ihm jedwede ernste Beziehung unmöglich macht – doch geht es Malick um etwas anderes als um eine Psychologisierung menschlicher Probleme. Es geht um mehr, sprich: Es geht ihm um etwas Tieferes, oder Höheres, wie man’s nimmt. Das Ende der Beziehung zu seiner Frau – herbeigeführt durch Ricks Unfähigkeit zu lieben, also zu geben, also zu empfinden – ist nur das Symptom der existentiellen Orientierungslosigkeit, die Rick beinahe teilnahmslos bis zur Passivität durch den Film wandeln/taumeln lässt. Hin und wieder lauert ein „Ganz entspannt im Hier und Jetzt“-Ratschlag in der Meeresbrandung, aber eigentlich ist nichts zu machen. Da der Spalt, der Rick von der Welt und von seinen eigenen Gefühlen trennt, etwas tiefer liegt (wo genau, weiß er selbst wohl nicht so genau), kann er auch nicht mit den üblichen Mitteln der Seinserfüllung und Harmonielehre geschlossen werden. Lediglich ein Erdbeben – also ein übergroßes, unfassbares Naturereignis, das so schnell wieder im Nichts verschwindet, wie es gekommen war – mag den Protagonisten ein wenig aus seiner Teilnahmslosigkeit holen, ihn ein wenig näher heranbringen an die pure Kraft des Lebens, die ihm innerlich so sehr abgeht.
Man mag an dieser Beschreibung erahnen, dass der Erfolg der Sinnsuche bei Malick keineswegs von äußeren, weltlichen Dingen bestimmt wird, sondern abhängig ist von den Bewegungen des Selbst in den eigenen, inneren Landschaften. Deren filmische Erschließung ist bei Malick Metaphysik im reinsten Sinne. Denn Malick stellt sich seit seinem Film „The Tree of Life“ aus dem Jahr 2011 die Frage, wie beide Seinsbezirke – Inneres und Äußeres – existentiell miteinander verwoben sind. Also unter welchen natürlichen und sozialen Bedingungen eine innere Suche nach Sinn und Transzendenz überhaupt stattfindet. Und wo sie ankommt. In „Knight of Cups“ gerät diese (erfolglose) Sinnsuche zum Sinn selbst, zum Selbstzweck, sowohl im formalen als auch im inhaltlichen Sinn.
Mit einer assoziativ-ästhetisierten Erzählweise, deren Montage eher von einem Bewusstseinsstrom als von einer Geschichte inspiriert ist, erschafft Malick ein Kaleidoskop an Erlebnissen, Bewegungsbildern und Momentaufnahmen eines Menschen, der aus dem eigenen Nihilismus zu entfliehen versucht, und doch keinen Ausweg findet. Die Stimmen der Figuren aus dem Off sind dabei der aktive Part der Sinnsuche. Sie legen sich über die Collagen der Bilder und treiben den Zuhörer ein ums andere Mal an, die Sinnfragen wie Suchschablonen gegen die Bildebene zu halten. Und im Endeffekt: sich davon mitreißen zu lassen. Die größte Paradoxie des Filmes besteht dann darin, dass man nicht berührt, sondern mitgerissen werden soll, und zwar von der Gefühlslosigkeit des Protagonisten und seiner Suche nach Gefühl.
Durch die Bild-Text-Schere entsteht viel Raum für Interpretation, für eigene Antworten. Das mag für den einen willkürlich erscheinen, doch andererseits lässt sich so jedem Bild etwas mehr abgewinnen als nur der Eindruck, ein passendes Bild im Puzzle eines Filmes zu sein. Entrückende, fantastische Aufnahmen unseres Planeten, von der Schönheit der Natur, von Wüstenlandschaften, vom Meer, aber auch vom Eingriff des Menschen und seinem Versuch, dem Chaos der Natur Sinn und Ordnung abzuringen, aufzudrücken, und dabei doch nur wieder neues Chaos zu stiften – mit Großbauten, Wohnanlagen und Straßensystemen.
Man stört sich bei dieser filmischen Suche relativ schnell an der Tatsache, dass Rick allen Klischees von Künstlichkeit ausgeliefert ist, die das Bild eines oberflächlichen, sinnlosen Lebens hergibt: Partys, Drogen, Designermöbel, Villen, Swimmingpools – die Models und die Fotografen dürfen da natürlich auch nicht fehlen. Und umgekehrt, bei der ausgemachten Sinnhaftigkeit im Leben trifft man dann auf die Schönheiten der Natur, elegische Landschaften; oder Menschen unter Wasser, oder Hunde unter Wasser, in Zeitlupe. Leider lässt sich auch sonst auf der Inhaltsebene wenig Gehaltvolles ausmachen. Das mag der Gedankenwelt von Rick entsprechen, dem Film schwebt aber eigentlich etwas anderes vor, nämlich Bedeutungsgenerierung. Und zwar im Hochbetrieb. „Knight of Cups“ stellt alle zwei Sekunden eine andere Sinnfrage, reißt mit jeder neuen Kameradrehung ein neues bedeutendes Lebensthema an, sodass man sich am Ende des Eindrucks nicht erwehren kann, dass Malick hier versucht, die fehlende Tiefgründigkeit und die Diffusion der verhandelten Fragen mit einem Mittel zu kaschieren: Je mehr offene Fragen, umso besser. Das wirkt beim Zuschauer nach einer Weile äußerst ermüdend und kontraproduktiv, denn man mag einem, der ständig „Bedeutung!, Bedeutung!“ schreit – und der versucht, jedes Bildchen philosophisch aufzuladen – nach einer Weile nicht mehr glauben.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Knight of Cups'.