Es ist eine recht einfältige Übertragung des Filmtitels ins Visuelle: Hauptmann Jesper (Ronald Zehrfeld) läuft am Strand entlang, die Kamera zeigt im Vordergrund unscharf das Wasser, dahinter den Strand und eben Jesper, der gewissermaßen auf der geografischen Grenze von beidem vor etwas davon und nirgendwohin joggt. Ein Wandler zwischen den Welten. Ein deutscher Soldat, der seinen Bruder im Einsatz verloren hat und nicht mehr weiß, wo er hingehört, nur um kurz darauf in Kundus zu landen. Mit seiner Einheit soll er hier ein afghanisches Dorf vor Angriffen schützen.
Auf dem Weg dorthin schöpft „Zwischen Welten“ weiter kräftig aus dem Gestaltungskanon einer Metaphorik des Dazwischen. Eine Parallelmontage führt Jespers afghanischen Übersetzer Tarik und dessen Schwester Nala ein. Tarik hilft den unerwünschten Besatzern und bringt damit sich sowie seine Schwester in große Gefahr, denn eine Ausreise nach Deutschland wird den beiden von den Behörden verwehrt. Tariks Schwester Nala studiert, obwohl sie eigentlich arbeiten sollte, was ihr die Verachtung der Einheimischen einbringt. Das Verortungsdilemma der Protagonisten wird durch unterschiedliche Transitmomente im Laufe des Filmes zusätzlich verdeutlicht: Busse, Motorräder, gepanzerte Fahrzeuge; ständig ist irgendwer irgendwohin unterwegs oder wartet auf irgendetwas. An einer Bahnschranke begegnet Tarik deutschen Soldaten und natürlich ist die Schranke, die wiederholt prominent in Szene gesetzt wird, zugleich als Symbol für den Übergang ins Jenseits lesbar. Irgendjemand wird also früher oder später über den Jordan gehen müssen.
Sehr schnell und sehr deutlich tritt hinter dieser aufwändig dekorierten Fassade die Haltung von Feo Aladag zu Tage. Der Umgang mit den Helfern vor Ort ist ein bürokratisches Tragödienspiel. Der Sinn des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan ist fragwürdig, weil die Soldaten auf verlorenem Posten zwischen Helfen und Zusehen stehen. Und wer das alles nicht gleich kapiert, dem wird in Dauerschleife vor Augen geführt, dass die Übersetzungsarbeiten Tariks als Sinnbild für den missglückenden interkulturellen Dialog zu verstehen sind.
„Zwischen Welten“ möchte einen möglichst exakten Einblick in die kulturellen Spannungen geben und die Regisseurin erzählt uns in Interviews einen vorm Pferd über die Authentizität des Ganzen, weil sie in Afghanistan mit Afghanen und nicht mit türkischen Darstellern in Marokko gedreht hat. Weil das Filmteam im ISAF-Camp gewohnt hat und alle Darsteller vor dem Dreh ein Militärtraining absolvieren mussten. Und diesen ganzen Mist glaubt dann zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Schlaflos ist der Racheengel“, weil es ja im Presseheft steht.
Nun ist all dies aber eben nicht Ausdruck von Authentizität, denn so wie eine Masse an vermeintlich authentischen Details als Ganzes falsch sein kann, so ist es für die Wahrnehmung des Filmes durch den Zuschauer vollkommen unerheblich, wo oder unter welchen Bedingungen der Film entstanden ist. Während „Zwischen Welten“ also vehement Wahrhaftigkeit simuliert, fehlt es im Kern an Reflexionsvermögen.
Diese Unzulänglichkeit offenbart sich zuallererst einmal in Jespers Kollegen, die erschreckend farblos gezeichnet sind. Wie collateral damage streifen sie durch den Film und bleiben nahezu die gesamte Zeit über stumm, da sie sonst Gefahr laufen würden, eine Wahrheit abseits des Presseheftes zu formulieren. Die Uniform muss sauber bleiben! Vielleicht sind die Kampfszenen, die gern so kraftvoll wie in Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ (USA 2011) wären, deshalb so dürftig inszeniert. Vielleicht kommen die Dialoge mit den Einheimischen deshalb über plakative Phrasen wie „Wer seid ihr, dass ihr denkt Afghanistan zu kennen.“ oder „Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit“, die man schon aus anderen medialen Aufarbeitungen des Krieges zu kennen meint, kaum hinaus. Und vielleicht wird der dreckige Tod in „Zwischen Welten“ deshalb mit einer kitschigen Weißblende verharmlost.
Eine ausgelassene Party von Jesper und seinen Kameraden in Frauenunterwäsche weist beachtliche Parallelen zu einer Szene in „Jarhead“ (USA 2010; R: Sam Mendes) auf. Ausgelassen wird sich im Vollsuff die deutsche Staatsflagge durch den Schritt gezogen und gegrölt. Doch was als Tabubruch inszeniert ist, wird seiner vermeintlichen Brisanz gerade dadurch beraubt, dass die Soldaten die Flagge für einen guten Zweck – nämlich Völkerverständigung – entweihen. Mit ihrem Tanz sammeln sie Geld für einen Einheimischen.
An späterer Stelle wird Jesper, ebenfalls der Völkerverständigung wegen, einen Befehl nicht ausführen, was in der dramaturgischen Entwicklung wie auch der moralischen Bedeutung sehr an die von Max Riemelt begangene Gehorsamsverweigerung in „Auslandseinsatz“ (D 2012; R: Till Endemann) erinnert.
Vielleicht ist das alles nur Zufall, doch je länger der Film dauert, umso größer werden die Zweifel an der Originalität und damit an der Glaubwürdigkeit dieses Werkes. Wirklich bemerkenswert ist nämlich eine Szene, in der sich eine Kuh im Stacheldraht verfangen hat. Die Soldaten erlösen sie von ihrem Leid, nur um kurz darauf vom afghanischen Besitzer eine Wiedergutmachung in Höhe von 500 Dollars auferlegt zu bekommen. Exakt die gleiche Szene findet sich im Dokumentarfilm „Restrepo“ (USA 2011; R: Tim Hetherington, Sebastian Junger) über eine Einheit amerikanischer Soldaten, stationiert in einem afghanischen Tal. Nach etwa 40 Minuten Spielzeit kommen die drei Dorfältesten ins Camp der Soldaten und fordern in nahezu identischem Wortwechsel wie er in „Zwischen Welten“ zu hören ist, 500 Dollars für eine tote Kuh, die sich im Stacheldraht verwickelt hatte und deshalb von den Soldaten getötet wurde.
Es stellt sich am Ende von „Zwischen Welten“ unweigerlich ein Gefühl der Beklommenheit gegenüber den Intentionen der Regisseurin ein. Viel zu plakativ trägt sie jene vor sich her, viel zu wenig lassen sie sich zwischenzeilig erspüren. Ohne es zu wollen, ist „Zwischen Welten“ Ausdruck einer Politik, die Authentizität mit der Inszenierung von Authentizität beharrlich verwechselt, die sich in der Wiederholung eingängiger Phrasen der Glaubwürdigkeit derselben versichern möchte.
Wiederholung und Kopiervorgang bedürfen allerdings keiner Eigeninitiative, keiner Kreativität. Sie verhindern im Gegenteil jede aufrichtige Reflexion. Die eigene Haltung kann so nur ein Patchwork an bereits vorgefertigten und unanfechtbar richtigen Meinungen sein. Aladag ist die perfekte Regisseurin für diese Politik. Eine Regisseurin der Mitte. Ihre Absicht ist immer gut, das Risiko minimal, das Ergebnis 'alternativlos'. Dass das Dazwischen, in der Kunst wie in der Politik, nur ein Ort des Ungefähren und der guten Absichten ist, muss sich ihr folgerichtig entziehen.