Der ausgedehnte Raum und die strapaziöse Bewegung darin sind Grundkonstanten des Wildwestfilms. Mit der Hoffnung auf ein besseres Leben streben die Siedler, dem Verlauf der Frontier folgend, von Ost nach West. Sie lassen die Heimat zurück, um ihr altes Leben gegen die Ungewissheit eines neuen zu tauschen. In John Macleans mythologischem Spätwestern „Slow West“, der die Bewegung der Glückssucher aufnimmt, bleibt der Raum und seine Geographie jedoch eine weitgehend undefinierte Größe. Seine unerforschte Weite ist lediglich gegliedert durch archetypische Haltepunkte (wie z.B. eine Handelsstation), die von mythologischen Figuren besetzt sind. Wenn sich der 16-jährige Jake Cavendish (Kodi Smit-McPhee), ein kultivierter, aber noch unerfahrener Schotte vornehmer Herkunft, auf der Suche nach seiner geliebten Freundin Rose Ross (Caren Pistorius) in der Neuen Welt bewegt, folgt er einem Kompass. Doch sein erster Blick gilt den fernen Weiten des Sternenhimmels.
Jake ist nämlich nicht nur unerfahren und schutzlos, sondern auch gebildet und zuversichtlich. In ihm lodert ein unerschrockener, vielleicht naiver Pioniergeist, der von mitgeführter Ratgeber-Literatur zusätzlich befeuert wird. Wenn er durch die Rauchschwaden eines niedergebrannten Indianerdorfs hindurch förmlich den Mythos betritt, um seinem zukünftigen Beschützer und Begleiter zu Begegnen, ist er mit Asche bedeckt. Silas Selleck (Michael Fassbender) wiederum, ein grober Kerl und zynischer Loner, verkörpert den Gesetzlosen unter Gesetzlosen. Umgeben von armen Glückssuchern, mordenden Kopfgeldjägern und wilden Indianerhorden, rückt mit ihm das biologistische Gesetz des Stärkeren im Kampf ums Überleben in den Mittelpunkt. Der Raum, nur von vagen Himmelsrichtungen markiert, wird zu einer absurden, anarchischen Größe. Gemessen am Elend, ist es demnach im Osten kaum besser als im Westen, wären angeblich hier nicht die Träume beheimatet.
Dass die Zivilisation irgendwann dann doch kommen muss, wie Rose nach einem ebenso großartigen wie blutigen Showdown meint, kann man kaum glauben. Die Suchbewegung der beiden gegensätzlichen Helden, die wider Willen und durch Schuld hindurch voneinander lernen, kommt darin zu einem tragischen Ende. In wenigen, wechselnden Monologen, in merkwürdigen Begegnungen, Träumen und Erinnerungen erzählt John Maclean ihre Geschichte. Mit makabrem Humor und anarchischem Witz ist der schottische Regisseur dabei der (historischen) Selbstmythologisierung des Wilden Westens und seiner Helden auf der Spur. Wie aus dem Nichts tauchen diese auf, um ihre jeweiligen Legenden zu erzählen und dabei die Konventionen des Genres zu erfüllen. Der antiillusionistische Look des Films und die „tarantinoeske“ Coolness der Gewalt verbinden sich dabei mit einem desillusionierten, allenfalls verhalten optimistischen Blick auf den Menschen. Darin ist „Slow West“ in vielfacher Hinsicht aktueller denn je.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Slow West'.