Der französische Filmemacher Frédéric Tcheng eröffnet seine kurzweilige Fashion-Dokumentation „Dior und ich“ mit einem schwarzweißen Werbeclip aus den 1950er Jahren. Darin präsentiert das traditionsreiche Pariser Modehaus seinen berühmt gewordenen „New Look“, den sein Schöpfer Christian Dior als Hommage an die Weiblichkeit verstand. Dazu wird aus dessen Memoiren zitiert: Gegen die Hektik der modernen Welt mit ihrem Drang nach Veränderung habe er die Bewahrung von Werten gesetzt. Zugleich war für den ebenso scheuen wie stilbewussten Dior Mode aber auch ein Vehikel, um in eine andere Rolle zu schlüpfen und dadurch jemand anderes zu sein.
Dieses gewichtige Erbe, von Tcheng als „Macht der Tradition“ apostrophiert, schwebt über den Ateliers des Hauses, als im Frühjahr 2012 der 1968 geborene belgische Designer Raf Simons als Nachfolger von John Galliano zum künstlerischen Direktor der Damenkollektion berufen wird. Innerhalb von zwei Monaten soll der sensible, kunstinteressierte Modekonzeptualist, der zuvor für Jil Sander gearbeitet hat und Inhaber einer eigenen Herrenmode-Marke ist, seine erste Haute Couture-Kollektion entwickeln, was für den öffentlichkeitsscheuen Chefdesigner im neuen Umfeld und unter großem Zeitdruck eine enorme Herausforderung darstellt. Sein Selbstanspruch, „Codes zu kreieren“ und dabei seine persönlichen Visionen und Ideen mit der Tradition zu verbinden, bildet dabei „Rafs“ künstlerisches Credo. Frédéric Tcheng wiederum nutzt dies leitmotivisch für seinen Film, indem er immer wieder Parallelen zwischen Diors Anschauungen und Raf Simons‘ Suche nach einer persönlichen Handschrift entdeckt und dafür zwischen Gegenwart und Vergangenheit, öffentlichen und privaten Momenten vermittelt.
Seine von ihm als „Chronik einer Emanzipation“ bezeichnete Dokumentation, die etwas gehetzt wirkt, andererseits aber vielstimmig ist, gewährt dabei einen Blick hinter die Kulissen des Modehauses und in die Mechanismen der einflussreichen Ateliers mit ihren subtilen Funktionsweisen und Machtkämpfen. Um in diese ebenso kompetente wie routinierte Dior-Familie aufgenommen zu werden, muss Raf Simons seinem Ruf als großer Kommunikator, der Mode als Dialog versteht, gerecht werden. Schließlich schweißen Verantwortung und enormer Zeitdruck das Team bis zur umjubelten, von vielen Prominenten besuchten Premiere zusammen. Frédéric Tchengs Film zeigt diesen Höhepunkt in stilisierten Bildern als künstlerische Performance und emotionale Katharsis; und er vermittelt daneben eine Ahnung von der logistischen und wirtschaftlichen Dimension eines solchen Ereignisses.