Ein pittoreskes Dorf in England während 1870er Jahre: Die selbstbewusste und gebildete Bathsheba Everdene erbt überraschend das Gut ihres verstorbenen Onkels. Entgegen der Gepflogenheiten übernimmt die patente selbstbewusste Frau die Verwaltung selbst. Schon bald muss sie sich zwischen drei Verehrern entscheiden: Dem aufrechten aber armen Schäfer Gabriel Oak, dem wohlhabenden, etwas älteren, einsamen Besitzer des Nachbargutes, William Boldwood, und dem schneidigen Soldaten Frank Troy. Bathsheba gibt dem Offizier das Ja-Wort, muss aber schon bald einsehen, dass sie einen Fehler beging.
Das klingt nach einem viktorianischen Kostümdrama aus der Mottenkiste. Tatsächlich wurde die Romanvorlage, Thomas Hardys „Far from the Madding Crowd“ von 1874, schon mehrfach verfilmt, 1967 von John Schlesinger, 1998 von Nicolas Renton und 2010 von Stephen Frears. Dank Thomas Vinterbergs Neuadaption erlebt der Zuschauer sein grünes Wunder. Schon in den ersten Einstellungen fokussiert sein Film den Blick so sehr auf die Hauptfigur, ihre Wünsche und ihre Verwurzelung in der traumhaft schön fotografierten englischen Landschaft, dass man sich kaum zu entziehen vermag. Alles an diesem Film ist gerade heraus, unkompliziert und ohne forcierten Ästhetizismus.
Zu sehen ist Carey Mulligan als Bathsheba Everdene auf dem Pferd. Sie trägt ein Kleid und sitzt daher zunächst, wie seinerzeit üblich, züchtig im Damensitz. Doch schon einen Wimpernschlag später hockt sie fest im Sattel und reitet im Galopp über saftig grüne Hügel dahin. Die Landschaft ist geschmackvoll fotografiert. Man kann sich nicht mehr vorstellen, dass Vinterberg sich seinerzeit mit der Unterzeichnung des Dogma 95 zu einer tristen ästhetischen Enthaltsamkeit verpflichtete. In einem kleinen Wäldchen hängen die Äste so tief, dass Bathsheba nur flach auf dem Rücken liegend das Hindernis passieren kann. Ein ebenso schönes wie unprätentiöses Bild für eine Frau, die ihre Leidenschaft auslebt – ohne Mann.
Das muss auch der Schäfer einsehen, ein imposanter Typ, hoch gewachsen wie eine Eiche, der auch noch so heißt, Gabriel Oak. Mit physischer Wucht und zartem Einfühlungsvermögen verkörpert der Belgier Matthias Schoenaerts einen Mann, der viril wirkt ohne sich machohaft zu produzieren – aber dennoch abblitzt. Würde man nicht wissen, dass er Bathsheba einen Heiratsantrag macht, so könnte man glauben, dass Gabriel seiner Nachbarin die Vorzüge eines Geschäftes anpreist. Doch gerade die prosaische Schnörkellosigkeit, mit der die ökonomischen Grundlagen einer Heirat in den Vordergrund gerückt werden, eröffnen hier Raum für Gefühle – die trotz gelegentlich forcierter Musikuntermalung niemals schwülstig erscheinen.
Eine solche Geschichte kann im 19. Jahrhundert allein deswegen funktionieren, weil Bathsheba kurz darauf ein ansehnliches Gut erbt, auf dem sie ihren Traum von geistiger und emotionaler Unabhängigkeit ausleben kann. In einer geradezu magisch erscheinenden Szene verliert Gabriel Oak unterdessen seine Schafherde, die von seinem treuen Hütehund aus unerklärlichen Gründen über die Klippe, den grünen Rand der Welt getrieben werden. Der nunmehr mittellose Schäfer tritt ausgerechnet in Bathshebas Dienste und muss dank dieser Rollenumkehrung als Zaungast geraume Zeit miterleben, wie seine Angebetete von anderen Männern heftig umworben wird.
Ihr wohlhabender Nachbar William Boldwood (Michael Sheen), wie Oak auch Gentleman durch und durch, bewundert Bathsheba, die seine Anträge jedoch beharrlich zurückweist. Erst der buchstäblich schneidige Soldat Frank Troy (Tom Sturridge) vermag ihr bislang unterdrücktes Triebleben so zu entfachen, dass dieser rationalen Frau die Kontrolle entgleitet – und sie das Lusterleben zulässt. Neben den beiden anderen Verehrern, dem schwermütigen Nachbarn Boldwood und dem stilvoll schmachtenden Oak, erscheint der Soldat eine klischeehafte Figur zu sein. Doch dank der Reichhaltigkeit von Thomas Hardys Vorlage kann Vinterberg hier interessante psychologische Details aufblitzen lassen. Als Soldat zählt Troy nämlich zu den Männern, die mit Frauen nicht wirklich etwas anfangen können. Er schien auf nichts anderes gewartet zu haben als sich auf der Hochzeitsfeier mit anderen Männern rituell zu betrinken. Das Gegenteil zu dieser repressiven Form sublimierter Homoerotik verkörpert der zupackende Oak, der unterdessen – und ohne nachzufragen – Bathshebas Ernte und damit deren wirtschaftliche Grundlage vor einem aufziehenden Unwetter rettet.
Im gewissen Sinn ist „Am grünen Rand der Welt“ eine Antithese zu einer anderen Hardy-Adaption. Im Gegensatz zu Bathsheba verfügt Tess in Roman Polanskis gleichnamiger Verfilmung nämlich nicht über wirtschaftliche Unabhängigkeit. So wird sie von dem gewissenlosen Schürzenjäger D’Urberville so heimtückisch ausgebeutet, dass ihr am Ende kein anderer Ausweg als der Mord bleibt. Hardys Figuren erscheinen vielleicht überzeichnet, aber nicht unrealistisch. Deswegen bleibt Vinterbergs Verfilmung bis zuletzt spannend. Was er in den Vordergrund rückt, ist jene Kultivierung des Mannes, die in „Tess“ unmöglich schien. Neben Michael Sheen als William Boldwood – der nicht Manns genug ist, um zu sehen, dass er nicht der richtige ist – verkörpert der als „belgischer Marlon Brando“ bezeichnete Matthias Schoenaerts einen Typen, der von Anfang an illusionslos erscheint. Selten hat man jemanden gesehen, der so stilvoll schweigen kann.
Doch auch er hat noch Reste dieses „Wilden“, „Ungezähmten“, „Hochmütigen“ in sich – verkörpert durch seinen Hund, der nicht zufällig die Schafe über die Klippe treibt. Dieser Hund, den sein Besitzer abgöttisch liebt, ist ein Symbol für das Unzivilisierte im Mann. Zerstörerische Impulse dieser Art muss Oak in sich jedoch domestizieren – eine harte Arbeit. Erst ganz am Ende, als er alles ohne zu verzweifeln aufgegeben und in gewissem Sinn die symbolische Kastration erlitten hat, bekommt er die Frau: Jetzt ist sie für ihn aber kein Ding mehr, kein bloßes Objekt der Triebbefriedigung; beide begegnen sich auf Augenhöhe. So etwas ohne Kitsch zu verfilmen, ist wirklich ein Kunststück.