„Dein Schweigen war auch mein Schweigen“, heißt es einmal in Marina Kems vielschichtigem Dokumentarfilm „Bonne Nuit Papa“ über die lange Sprach- und Beziehungslosigkeit zwischen Vater und Tochter. Letztere begibt sich mit ihrem sehr persönlichen Film auf die Suche nach ihrem kambodschanischen Vater und seinem zunehmenden Verstummen in den letzten Jahren seines Lebens. Dabei verknüpft sie das starke Gewicht ihrer biographischen Erzählung mit Fragen der kulturellen Identität und den grausamen Wirkungen der politischen Geschichte. Marina Kem erzählt aus dem Off ebenso sachlich wie gefühlvoll von Fremdheit, Annäherung und Versöhnung. Dafür verwendet sie Briefe, Aufzeichnungen und Fotos aus dem Nachlass ihres Vaters, spricht mit Familienmitgliedern und schöpft aus dem reichen Fundus von Archiven.
Im Jahre 1965 kommt der damals 19-jährige Ottara Kem, aufgewachsen als Sohn eines strengen Schuldirektors in einem kambodschanischen Dorf, mit einem Stipendium nach Leipzig, um Maschinenbau zu studieren. Als sehr guter Student macht er zunächst sein Diplom als Ingenieur, um daran anschließend zu promovieren. Als charmanter, gutaussehender junger Mann lernt er seine spätere Frau Monika Bethmann kennen, mit der er drei Töchter hat. Die Familie lebt in dem sächsischen Dorf Bretnig, wo das Ehepaar in der Textilindustrie arbeitet. Während dieser Zeit wird Ottara Kems fernes Heimatland, in das er ursprünglich zurückkehren wollte, vom brutalen Terrorregime der Roten Khmer überzogen, dem fas alle Angehörigen zum Opfer fallen.
Einfühlsam blickt Marina Kem durch die Zeugnisse ihres Vaters auf dessen Leben und beginnt nach und nach zu verstehen: Wie Lebenspläne durch die kleine und große Geschichte verändert oder ganz zunichte gemacht werden; wie unter den Wirkungen einer scheiternden Ehe, kultureller Entwurzelung und kriegerischer Auslöschung ein Leben im Schweigen versinkt; und wie angesichts der innerdeutschen politischen Wende ein hoffnungsvolles Beginnen in Arbeitslosigkeit und Depression mündet. In ihrem überaus reichen, von tiefer Menschlichkeit getragenen Film, der nicht zuletzt auch Trauerarbeit ist, zeigt Marina Kem aber auch einen Weg zur Versöhnung. Schließlich findet sie in der (fremden) Heimat ihres Vaters eine neue Familie.