Vergangenen Herbst trompeteten Mahnwächter, Montagsspaziergänger und Cybertrolle so lange das Wort von der „Lügenpresse“ in die Welt, bis es verdientermaßen zum Unwort des Jahres gekürt wurde. In Christoph Hochhäuslers drittem Film „Die Lügen der Sieger“ erhält die Bezeichnung noch eine etwas andere, subtilere Konnotation: nicht als Kampfbegriff gegen die „Bewusstseinsmedien“, sondern als Inbegriff eines Scheiterns. Insgesamt kommen „die von der Presse“ bei Hochhäusler nicht sonderlich gut weg. Fabian Groys (Florian David Fitz ) ist ein Adrenalinjunkie: ehemaliger Kriegsberichterstatter, Spieler, Porschefahrer, Wrestling-Gucker, Macho-Arschloch. Man ist immer nur so gut wie seine letzte Story, erklärt er der neuen Volontärin Nadja (Lilith Stangenberg), die man ihm gegen seinen Willen zugeteilt hat. Denn Groys ist natürlich auch Einzelgänger, darum serviert er sie mit den Recherchen für einen spektakulären Todesfall im Gelsenkirchener Zoo ab. Ein Kriegsveteran hat sich in das Tigergehege gestürzt. Groys arbeitet derweil an einer Story über die Invalidenpolitik der Bundeswehr. Sein Chefredakteur beim Politmagazin „Die Woche“ drängt auf Resultate und gibt seine Anweisungen auch schon mal in einer Yoga-Stellung.
Hochhäusler ist im deutschen Film eine Ausnahmeerscheinung: ein Filmemacher, der in Bilder denkt und das Kino tatsächlich noch als Erzählmedium versteht. Seine Kinobilder fungieren nie als Beweisketten, die lediglich plot points verbinden, vielmehr erschließen sie gesellschaftliche Zusammenhänge erst. Lebenswirklichkeit wird aus einer nicht gesicherten Beobachterposition heraus beschrieben. Die Kamera ist in Hochhäuslers Filmen wie eine Sonde ständig damit beschäftigt, sich Überblick zu verschaffen.
In „Falscher Bekenner“ von 2005 beginnt ein Achtzehnjähriger aus Langeweile Bekennerschreiben für Taten zu verschicken, die er nicht begangen hat. Hochhäuslers letzter Film „Unter Dir die Stadt“ (2010) stand noch tiefer in der Tradition des amerikanischen Paranoia-Kinos der 1970er-Jahren, angesiedelt im Milieu der Frankfurter Hochfinanz. Ein Bankmanager entwickelt eine Obsession für die junge Frau eines Angestellten und beginnt die Karriere ihres ahnungslosen Mannes zu manipulieren. Die paranoide Logik ist bereits in der gläsernen Architektur der Bürotürme und Innenräume evident, die Transparenz erweist sich als Trugschluss. Hochhäusler hat vor der Filmhochschule Architektur studiert, sein Blick für Räume – auch die sozialen – ist ähnlich analytisch wie die Sprache seiner Figuren.
„Die Lügen der Sieger“ ist nach „Unter Dir die Stadt“ seine zweite Zusammenarbeit mit dem Autor Ulrich Peltzer, aber die Filme unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht. „Unter Dir die Stadt“ war ein Labor, in dem Hochhäusler mit menschlichen Verhaltens- und Sprechweisen experimentierte. Der Bankensektor diente dabei eher als atmosphärischer Hintergrund. Das Milieu selbst interessierte Hochhäusler und Peltzer nur insoweit es etwas über die Menschen verriet. Ihre Dialoge waren Inszenierungen von Sprechakten, die jedoch kaum Einblicke in die Mechanismen der Finanzwelt gewährten. Die Obszönität der Work Hard/Play Hard-Arbeitswelt zeigte sich nicht in geschäftlichen Transaktionen, sondern in den Umgangsformen und Räumen, die diese Menschen bewohnten.
„Die Lügen der Sieger“ will nun entschieden mehr procedural, also ein Genrefilm sein, als bloß eine Mentalitätsstudie der Berliner Republik mit ihren Verflechtungen aus Politik, Medien und Wirtschaft. Hochhäusler beschreibt Abläufe: wie aus einem Unfall ein vorsätzlicher Mord wird, aus verstreuten (Des-)Informationen eine ‚story’ und aus den Einflüsterungen der Chemie-Lobby schließlich ein Gesetz. Es ist ein Spiel um Schein und Anschein, denn am Ende geht es in „Die Lügen der Sieger“ gar nicht um die große Geschichte. Der eigentliche Skandal verschwindet in einer unscheinbaren Überschrift auf den hinteren Seiten des Wirtschaftsteils – genauso nebensächlich wie der Antrag auf eine Novellierung der Gefahrenstoffrichtlinie (Stichwort EU-Harmonisierung!), die im Bundestag von allen Fraktionen im Dämmerzustand durchgewunken wird. Nach getaner Arbeit sitzen die Lobbyisten mit einem Glas Champagner über der Titelgeschichte des Starreporters und fragen feixend, ob sie wohl auch als Autoren genannt werden.
Die Machtverhältnisse klärt Hochhäusler wieder über die Architektur. Die Herrschaftsräume der Konzerne sind gläsern und mondän, die Redaktion der „Woche“ sieht dagegen aus, wie man sich heute die „Spiegel“-Büros in den 1980er-Jahren vorstellt. Hochhäuslers paranoider Blick ist konsequent: Die Handlung besteht aus einer Aneinanderreihung von Orten, an denen nie ganz klar wird, wer hier eigentlich wen beobachtet. Mehrmals schaltet die Kamera in den Observierungsmodus (Schwarz-Weiß-Bilder, verzerrter Ton). Gefilmt wird auch die Probe für das Treffen eines Vertreters der Wirtschaft mit einem hochrangigen Minister. Das Gespräch in einem Berliner Nobelrestaurant verläuft später fast Wort für Wort im Sinne der Lobbyisten. Die Einübung von Sprechakten und Redeweisen wird in „Die Lügen der Sieger“ selbst zu einem Machtinstrument.
Doch so überzeugend Hochhäuslers Inszenierung von den klandestinen Herrschaftsverhältnissen auch ist, es hapert in „Die Lügen der Sieger“ vor allem an der Erzählmatrix. Als procedural im Stil des Watergate-Thrillers „Die Unbestechlichen“ oder der HBO-Serie „The Wire“ interessiert sich der Film zu wenig für die journalistische Arbeit. Karikaturenhaft klingen die Dialoge zwischen Starreporter Groys und seinem Chef, peinlich mitunter die Wortgefechte zwischen Groys und seiner Volontärin: Auch dies sind Sprechakte, allerdings eher aus deutschen Vorabendkrimis, in denen das Ermittlerduo „zynischer alter Hase – naive Assistentin“ bereits Tradition hat. Hochhäuslers Desinteresse geht so weit, dass er entscheidende Plotwendungen wie ein ‚deus ex machina’ einführt, etwa wenn den Journalisten ein gefälschtes Foto untergejubelt wird. Am Ende muss Humphrey Bogart für die zynische Schlusspointe sorgen, als die Druckerpressen bereits auf Hochtouren laufen. „Das ist die Presse, Baby“, ruft ‚Bogey’ in einer Szene aus „Deadline U.S.A.“ (1952) ins Telefon, „dagegen könnt ihr nichts ausrichten.“ „An den Titeln der Bücher“, heißt es in einem Schlusszitat von Lawrence Ferlinghetti, „wird man die Lügen der Sieger nicht erkennen.“
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 06/2015
Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Die Lügen der Sieger'.