Mit Ende vierzig scheint Franz (Axel Prahl) am Ziel seiner Träume zu sein. Dank seines gut dotierten Jobs hat der Banker für sich und seine Kleinfamilie eine geräumige Eigentumswohnung in einem luxuriösen Appartementhochhaus gekauft. Fröhlich reißt er beim Einzug die Arme hoch, lässt diesen Moment des Glücks von einem Möbelpacker mit der Videokamera festhalten, die er permanent bei sich führt. Doch schon bald mehren sich seltsame Vorzeichen. Beim Zusehen hat man sich ohnehin schon gefragt, warum der gut situierte Banker in eine Art Industrie-Vorort zieht, in dem aus der Vogelperspektive eigentlich nur triste Bürogebäude und Parkplätze zu sehen sind. So richtig froh scheint Franz nicht zu sein, als er auf seinem Videotagebuch von der trügerischen Stille in seiner neuen Wohnung spricht.
Die Stimmung wird immer bedrückender. Die Türsteher, Wachleute mit Fellmützen, die wie KGB-Agenten aussehen, blicken düster drein. Der neue Nachbar (Roeland Wiesnekker) wirkt mit seinem zynischen Lächeln auch nicht wie jemand, mit dem man Tür an Tür wohnen möchte. Außerdem verdichtet sich das seltsame Gefühl, dass Franz von irgendjemandem beobachtet wird. Kein Zweifel: Das alles wirkt irgendwie – man kann es nicht anders formulieren – kafkaesk. Das ist nicht überraschend, denn mit seinem Kinodebüt, für das er auch das Drehbuch verfasste, verfilmt Jochen Alexander Freydank eine Geschichte des Prager Schriftstellers. Leider kommt das „Kafkaeske“ dabei etwas zu sehr mit Ansage.
„Der Bau“, entstanden in Kafkas letztem Lebensjahr 1923/24, ist eine fragmentarische Erzählung, deren Ende verloren gegangen ist. Ähnlich wie die ungleich bekanntere „Verwandlung“, in der ein gewisser Gregor Samsa sich in einen Käfer verwandelt, geht es auch in „Der Bau“ um die menschliche, allzu menschliche Erlebnisweise eines Subjekts, das jedoch Tier ist. In der Literatur wird der bei Kafka namenlose Ich-Erzähler als Dachs oder als Maulwurf interpretiert. Ein Tier, das immerfort über seinen verzweigten unterirdischen Bau und die Maßnahmen meditiert, ihn zu erhalten und gegen vermeintliche Eindringlinge zu verteidigen. Besonders das zischende Geräusch, das es von irgendwo zu hören vermeint und dessen Ursache es akribisch zu ergründen versucht, setzt ihm zu. Auf seine unnachahmliche Weise erzeugt Kafka so ein genuines Sprachbild, das sich jedoch der konkreten Visualisierung im Sinne einer fotorealistischen Illustration radikal sperrt. Die selbst angelegten Gänge, durch die der Erzähler sich bewegt, sind eine Art Sinnbild für das Labyrinth seiner eigenen Gedanken, in denen er gefangen ist. Minuziös schildert der Text, wie der Erzähler darüber sinniert, dass er eigentlich sofort diese oder jene Maßnahme ergreifen müsse. Die nicht minder minuziös geschilderten Erwägungen, warum diese Maßnahmen sinnlos sein könnten, frieren die Handlungsfähigkeit des Subjekts ein, das in seinem formvollendet beschriebenen Grübelzwang völlig aufgeht.
Für diese Denkobsession, die einem beim Lesen der Geschichte merkwürdig vertraut erscheint, findet Freydank in den besseren Momenten seiner Verfilmung gelungene Bilder. Wenn Franz beispielsweise mit seinem SUV auf einen beinahe leeren Parkplatz fährt und trotzdem auffällig oft rangiert, bis sein Wagen kerzengerade zwischen den Markierungen steht, dann entspricht dieses übertriebene Bemühen um Exaktheit durchaus den Symptomen der Zwangsneurose (um die es bei Kafka geht, auf die man seine Literatur aber keineswegs reduzieren kann). Nicht minder zwanghaft ist es, wenn Franz auf seinem Nachttisch nicht nur einen, sondern gleich drei Wecker postiert, die mit ihrer übergroßen Digitalanzeige ebenso eine gelungene Verbildlichung von Zwanghaftigkeit sind.
Dass die ambitionierte Kafka-Verfilmung, an der Freydank laut eigener Aussage zehn Jahre arbeitete, nicht durchweg überzeugt, liegt zunächst einmal daran, dass er die Geschichte als Psychothriller über einen zunehmend paranoider werdenden Charakter interpretiert. Im Gegensatz zur Erzählung, deren beklemmende Wirkung dadurch entsteht, dass alles in der Schwebe bleibt, fühlt Franz sich beobachtet und verfolgt. Hinter der zugemauerten Tür in seiner Wohnung entdeckt er schließlich eine Vorrichtung, die er anscheinend selbst installierte. Dass Franz ein Psycho ist, das zeigt uns der Film jedoch etwas zu eindeutig und nimmt dadurch viel von der möglichen Wirkung.
Kafka arbeitet in seiner Geschichte mit dem – nie als solchem ausgewiesenen – Kunstgriff des personalen Erzählens, des Erzählens aus der Perspektive der ersten Person Singular. Der Trick dabei ist, dass das, was als objektiv dargestellte Wirklichkeit erscheint, eine Projektion des erzählenden Ichs ist. Die filmische Entsprechung für diesen Tunnelblick überzeugt nicht durchgängig: Franz hätte ein gutes Stück ‚normaler’ erscheinen können. Damit wäre das Abdriften ins Unheilvolle mitreißender geworden.
Dass der abstrakt bleibende, allegorische Dachsbau der Erzählung als luxuriöse Eigentumswohnung verbildlicht wird, geht in Ordnung. Und dass Franz in einem modernen Büro mit seltsamer Betonarchitektur arbeitet und eine Frau hat (die sehr schattenhaft bleibt): auch so kann man Kafka interpretieren. Dessen letzte Lebensgefährtin Dora Diamant soll gesagt haben, sie selbst sei der Burg- oder Hauptplatz des „Baus“. Also hat eine Frau hier durchaus ihren Platz.
Weniger gelungen ist der Umgang mit dem Text selbst, von dem Axel Prahl immer wieder Auszüge monologisch deklamiert. Das wirkt zu stilisiert – oder vielleicht nicht stilisiert genug. Am weitesten entfernt Freydank sich von Kafka, wenn er dessen literarischen Autismus, das permanente, im Grunde statische Kreisen um die eigenen Gedanken, im Sinne einer dramatischen Geschichte dynamisiert. Im Film wird der Protagonist so zu einem sozialen Wesen, das in einen Kampf um den gesellschaftlichen Abstieg verwickelt wird. Beim Einzug ärgert Franz sich schon darüber, dass sich im Treppenhaus Clochards eingenistet haben. Nach und nach verwandelt er selbst sich in einen Penner, in einen Obdachlosen im eigenen Bau. Die Befürchtung eines zunächst gut situierten Büroangestellten, der plötzlich entlassen wird und auf gespenstische Weise in die Armut abgleitet – das ist ein wichtiges Thema. Aber mit Kafka hat das nicht unbedingt etwas zu tun.
Vergisst man, dass dies eine Kafka-Adaption ist, dann nimmt einen der Film vor allem im letzten Drittel durchaus gefangen. Wenn das prätentiös wirkende Aufsagen des Kafkatextes weniger wird und Franz weitgehend stumm durch postapokalyptisch anmutende Industriebauten irrt, dann erzeugen die monochromen Szenarien eine beklemmende Wirkung. Man fühlt sich manchmal an Luc Bessons Erstling „Le dernier combat“ erinnert. Freydank, der für seinen Kurzfilm „Spielzeugland“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, ist durchaus in der Lage starke, wirkungsvolle Bilder zu inszenieren. Besonders die Innenräume des „Baus“ mit ihrem diffusen Halbdunkel und den irgendwie zu weit voneinander weg stehenden Möbeln – zwischen denen man sich verlorenen fühlt – erzeugen eine ganz eigene, Kafka ästhetisch angemessene Wirkung. Auch im Gespräch mit dem Schlosser (unspektakulär: Devid Striesow), der einen Spezialriegel zur Absicherung einbaut – die aber wertlos zu sein scheint, weil der Handwerker ja selbst noch einen Nachschlüssel behalten könnte –, bewegt der Film sich in kafkaesken Erlebnisbahnen.
Die Beobachtung seines Hauptdarstellers, der einmal verzweifelt ein Regal aufzubauen versucht, gelingt dagegen nicht immer, weswegen auch Axel Prahls Darstellung nur streckenweise überzeugt. Freydank gelingt ein nicht uninteressanter Film über die Architektur des Zwangs, der vor allem gegen Ende zu gefallen weiß – so lange man ihn nicht mit Kafka assoziiert.