Es beginnt mit einer haarsträubend grundsätzlichen Frage, die Jean-Luc Godard in den Raum stellt: „Ist es möglich, heutzutage in Deutschland Filme zu machen?“ In einem philosophischen Sinne. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus „Der kleine Godard an das Kuratorium junger deutscher Film“ von Hellmuth Costard aus dem Jahre 1978, aber das erfährt der Zuschauer erst im Abspann. Nach Kriegsende ’45 konnte man, so der nächste gewählte Ausschnitt, nur auf die „jeunesse allemand“ hoffen, weil überall sonst noch immer Nazis saßen. Und die Jugend lässt sich nicht lumpen, sondern provoziert, stellt unbequeme Fragen und muss – ein Ausschnitt aus „Ich bin ein Elefant, Madame“ zeigt‘s – immer damit rechnen, dass die längst wieder feiste Täter-Generation gerne auch mal handgreiflich wird, wenn aufgemuckt wird.
Dem Franzosen Jean-Gabriel Périot, Jahrgang 1974, gelingt das Kunststück, die Geschichte einer Radikalisierung, die auch die Geschichte einer Kommunikationsverweigerung ist, kommentarlos, allein durch die Montage von bereits gefertigten Bildern aus Fernsehnachrichten, Fernsehreportagen, Fernsehdiskussionen und diversen Spiel- und Agitationsfilmen zu erzählen. Es ist eine exemplarische Geschichte, die allerdings keinen Anspruch erhebt, die „ganze Geschichte“ zu erzählen. Selbstredend wären andere, alternative Bilder in den Archiven vorfindbar, könnten andere Akzente gesetzt werden, andere Protagonisten gewählt werden – fraglich aber, ob dies die Geschichte, die erzählt wird, grundlegend veränderte.
Während also im Fernsehen die „Konkret“-Kolumnistin Ulrike Meinhof in Diskussionsrunden und Features Aufklärung fordert und dies aus einer Position heraus betreibt, die heutzutage etwa Jutta Dittfurth oder Sarah Wagenknecht zukommt, wird in Berlin die dffb gegründet, von der, wie Willy Brandt es bei der Eröffnung formuliert, „künstlerische wie organisatorische Impulse“ ausgehen sollen. Diese Hoffnung wird sich erfüllen, aber auf ganz andere Weise als gedacht, denn der erste Jahrgang der Filmstudenten verweigert sich fast ausnahmslos, dem „Apparat der Bewusstseinsindustrie anpassungswillige Film- und Fernsehfachidioten“ zu liefern und macht stattdessen im godardschen Sinne Filme politisch. Holger Meins, Helke Sander, Hartmut Bitomsky, Gerd Conradt und Harun Farocki gehören zu diesem ersten Jahrgang, von dem später knapp die Hälfte relegiert werden wird, als das Gebäude besetzt und in die „Dsiga Vertov-Akademie“ umgetauft wird.
Film als Waffe der sexy Aufklärung, wenn modisch gekleidete Studenten mit der roten Fahne zu flotter Rockmusik durch Berlin laufen oder die legendäre „Anleitung zum Bau eines Molotow-Cocktails“ gezeigt wird. Die Ausschnitte aus einschlägigen Agitationsfilmen zeigen, dass die Studierenden sich mit allerlei Montage-Theorien auseinandergesetzt haben, um ihre Botschaften unmissverständlich zu machen. Aber noch immer geht es vorzüglich um Aufklärung und gegen die „Springer“-Presse“: „Eine unwissende Armee kann den Feind nicht besiegen!“, heißt es einmal in der Manier von Maos kleinem roten Buch, der „Mao-Bibel“.
Nach dem 2. Juni 1967 und der Ermordung Benno Ohnesorgs radikalisieren sich die Auseinandersetzungen: Brandanschläge auf zwei Frankfurter Kaufhäuser, Attentat auf Rudi Dutschke, „Springer“-Blockade, „Schlacht am Tegeler Weg“, Besetzung und Räumung der dffb, der Film sucht sich zielgerichtet sein Personal zusammen – Ulrike Meinhof, Holger Meins, Horst Mahler, Andreas Baader, Gudrun Ensslin (die auch einmal als Schauspielerin zu sehen ist). Diese Konzentration auf die erste Generation der RAF verengt die Dynamik der Bewegung in Richtung Eskalation, spontaneistische Strömungen um die Gruppe Spur, die Subversive Aktion und die Kommune 1 bleiben vergleichsweise unterbelichtet.
Vielleicht die entscheidende Szene des Films spielt im Verlauf der gescheiterten Besetzung der Redaktionsräume von „konkret“, als Meinhof sich den angereisten Journalisten verweigert und diese nachdrücklich auffordert, selbst für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Anschließend könnten sie sich dann ja selbst zur Problematik interviewen. Hier ist eine entschiedene Bruchstelle der dialogischen Kommunikation, die später im Film zur Trennung von Körper und Stimme führen wird. Es ist dann Klaus Lemke, der im Zusammenhang der Dreharbeiten zu „Brandstifter“ davon spricht, gut verstehen zu können, dass manche Akteure dahin manövriert wurden, zu denken, Kaufhäuser anstecken zu müssen. Als Gegenüber agiert die arrogante Täter-Generation je nach Temperament in Gestalt von Franz-Josef Strauß und Helmut Schmidt, über dessen „preußische Sekundärtugenden“ Oskar Lafontaine früh einmal Einschlägiges und Zutreffendes bemerkt hat, während „auf der Straße“ gerne mit schwäbischem Zungenschlag über Lynchjustiz und Todesstrafe „nachgedacht“ wird.
Die Chronologie der Ereignisse zwischen 1966 und dem Oktober 1977 darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden, aber trotzdem ist die Logik der Eskalation, wie sie hier durch das montierte Originalmaterial aus Politikerreden und Fernsehnachrichten rekonstruiert wird, gespenstisch und forciert beschleunigt. Die Protagonisten der RAF, die hier lange als die diskursive Auseinandersetzung Suchende vorgestellt wurden, sind längst verstummt handelnd oder agieren als körperlose Stimmen vor Schwarzfilm aus dem Stammheimer Gerichtssaal heraus. „Deutschland im Herbst“: Kurz vor Schluss diskutiert dann Rainer Werner Fassbinder mit seiner Mutter in der Küche über Demokratieverständnis und die Hoffnung auf einen freundlichen Diktator, der es richten möge.
Wenn man so will, ein teuer erkauftes Happy End, denn genau diese nicht freundliche, aber auf Augenhöhe stattfindende Diskussion wurde ja seitens der staatlichen Autoritäten und Repräsentanten lange verweigert, weshalb ja von der APO „die Straße“ als Ort der öffentlichen Auseinandersetzung gewählt werden musste. Was dem Film auch eine böse Aktualität verleiht, denn es existieren Parallelen, wenngleich mit radikal veränderten Vorzeichen, zum aktuellen Umgang mit der Pegida. Aber Horst Mahler ist zumal in der ersten halben Stunde auch hier durchaus prominent vertreten. Wer die Geschichte gerne in dieser Richtung entfalten möchte, greife zu „Die Anwälte“ von Birgit Schulz (2009)!