Melody (Lucie Debay) wird geleitet vom Wunsch nach Geborgenheit und Schutz. Zugleich sucht sie nach Unabhängigkeit in einem eigenen Leben. Wie beides zusammenhängt, zeigt Bernard Bellefroid in seinem bemerkenswerten, thematisch aktuellen Film „Melodys Baby“ („Melody'). Bezeichnenderweise beginnt dieser mit einem symbolisch aufgeladenen Bild, das die junge Titelheldin in der Embryonalstellung zeigt und auf eine ambivalente Existenz deutet. Tatsächlich packt Melody kurz darauf ihre Sachen und verlässt die Wohnung eines nicht näher vorgestellten Mannes. Ausgesetzt und ohne Obdach geht die 28-Jährige von Tür zu Tür, um mehr oder weniger erfolglos ihre Dienste als Friseurin anzubieten. Dicht gefolgt und begleitet von einer Kamera, die immer wieder die Nähe sucht zu Melodys offenem Gesicht und ihrem verletzlichen, aber auch starken Körper. Stilistisch ähnelt Bellefroids Film darin den Arbeiten seiner belgischen Landsleute Jean-Pierre und Luc Dardenne.
Weil sich Melody mit ihrem Gewerbe selbständig machen will, was vielleicht nicht sehr realistisch ist, und für die Eröffnung eines Friseursalons sehr viel Geld braucht, bietet sie sich im Internet als Leihmutter an. Der Kontakt zu der alleinstehenden Managerin Emily (Rachael Blake), die sich nach einem Kind sehnt und zunächst als kühle, kontrollierte Geschäftsfrau eingeführt wird, ist schnell und in wenigen Schnitten erzählt. Denn Bernard Bellefroid konzentriert sich im Folgenden vor allem auf die Beziehung der beiden einsamen Frauen, die zunächst von Spannungen und Misstrauen bestimmt wird, allmählich aber in eine zunehmende Annäherung übergeht. „Wir haben doch beide einen Traum. Zerstören wir ihn lieber nicht“, sagt Emily an einem Wendepunkt der Geschichte. Der Schlüssel für dieses wechselseitige Sich-Öffnen, das schließlich über ihre Freundschaft hinaus in einer bewegenden Mutter-Tochter-Beziehung mündet, liegt in einer schmerzlichen Vergangenheit.
Während Emily aufgrund einer schweren Krankheit einst ihre Gebärmutter und den darin wachsenden Embryo verloren hat, wurde Melody nach ihrer Geburt anonym ausgesetzt. Jetzt soll sie ihrerseits ein Kind weggeben, das zwar in ihr wächst, ihr aber nicht „gehört“. Zugleich übernimmt Melody auf zunehmende Weise eine Doppelrolle als Kind bzw. Ersatztochter und werdende Mutter. Zwar erscheint diese Plot-Konstruktion in ihren Wechselwirkungen mitunter etwas konstruiert und bleiben manche (realistischen) Details zugunsten zweier intensiver, hervorragend gespielter Frauenportraits dabei auf der Strecke; zugleich gelingt Bellefroid aber ein starkes, bisweilen tragische Züge annehmendes Drama über ebenso komplizierte wie schwierige „Familienbeziehungen“, die beunruhigende Pflicht zur Verantwortung und den traurigen, vielleicht aber auch tröstlichen Zusammenhang von Tod und Leben. „Schließlich“, so der Regisseur, „finden beide in der Anderen genau das, was sie selbst nie hatten.“