„Sie sehen so glücklich aus“, bemerkt Herr Sakamoto nachdenklich. Zusammen mit seiner Frau hat er sich in eines der über 37.000 Love Hotels in Japan eingebucht, jetzt sitzt das Ehepaar in Unterwäsche auf einem großen Doppelbett und schaut sich einen alten Porno an, den ein ratternder Projektor an die Zimmerwand wirft. Die Sakamotos – er arbeitslos, sie Krankenschwester – sind Stammkunden im „Angelo Love Hotel“ in Osaka und gehören damit zu den mehr als zwei Millionen Japaner_innen, die Schätzungen nach täglich ein Stundenhotel besuchen.
In einem Land, in dem öffentliche Zuneigung verpönt ist und beengte Wohnverhältnisse Intimitäten zusätzlich erschweren, gehören solche Etablissements vielerorts wie selbstverständlich zum Stadtbild und gelten nicht unbedingt als anrüchig. Erwachsene aus allen Schichten und allen Altersgruppen kommen hierher, um dem Alltag für einige Stunden zu entfliehen und ihre sexuellen Bedürfnisse ungestört zu befriedigen.
Der britische Filmemacher Phil Cox und sein Ko-Regisseur Hikaru Toda gewähren mit ihrem Dokumentarfilm nun seltene Einblicke in ein Love Hotel und stellen neben einer Reihe von Gästen ebenso die Mitarbeiter_innen des kleinen Betriebs vor. Trotz einer erstaunlichen, auch körperlichen Nähe zu den Protagonist_innen sowie einiger expliziter Szenen ist der Blick dabei nie ein voyeuristischer. Fernab von triebhafter Geilheit sind die Filmemacher einem anderen Glück auf der Spur: Begleitet von einem schwärmerischen Soundtrack aus Pop-Chansons und der croonenden Stimme Dean Martins zeigt „Love Hotel“ vor allem Momente der Zärtlichkeit, Fürsorge und Nachdenklichkeit in einer von Anpassungszwang und Erfolgsdruck geprägten Welt.
Die Domina Rika erkundigt sich da etwa nach dem Fesselspiel besorgt bei ihrem Klienten, ob der denn auch gut nach Hause komme, und gibt dem unsicheren Geschäftsmann ein paar aufmunternde Lebensweisheiten à la „Niemand ist normal“ mit auf den Weg. Und der Rentner Herr Yamada, dessen Frau nicht mehr mit ihm schlafen möchte und der schon gar nicht mehr weiß, ob er überhaupt noch eine Erektion bekommen kann, sinniert beim einsamen Anschauen einer Porno-DVD über seine Vergangenheit; besonders, dass er die Frauen nicht gut behandelt hat, bereut der 71-jährige heute.
Dass hinter den Kulissen der als Boxring, U-Bahn-Abteil, Dschungel oder Pharaonengrab gestalteten Mottozimmer des Love Hotels alles mit rechten Dingen zugeht, dafür sorgt der Geschäftsführer Ozawa mit seinem Team. Zwischen Rohrpostsystem, Telefonanlage und Videomonitoren bemüht sich das Personal nach allen Kräften, um den Gästen einen möglichst komfortablen und sicheren Aufenthalt im erotischen Refugium zu ermöglichen.
Doch nicht nur die Wünsche der Kund_innen bringen die Angestellten des „Angelo Love Hotel“ in Bedrängnis, aus dem Radio dringen immer wieder beunruhigende Nachrichten an Ozawas Ohr: In einigen Nachbarschaften ist es zu Protesten von Anwohner_innen gegen Love Hotels gekommen und auch die Regierung unter Shinzo Abe setzt den Etablissements mit einer restriktiven Gesetzgebung zu, um von der rezessionsgezeichneten Wirtschaftslage Japans abzulenken.
Die ökonomische scheint sich so mit einer erotischen Krise zu verschränken, vor dem Hintergrund einer konservativer werdenden Gesellschaft werden die Love Hotels zu Orten eines (Auf-)Begehrens gegen erdrückende Normen und einen rigorosen Konformismus. Die junge Frau, die sich nicht in die für sie vorgesehene Rolle als Hausfrau und Mutter zwängen lassen will, findet im „Angelo Love Hotel“ ebenso einen Freiraum und Unterschlupf wie die beiden schwulen Rechtsanwälte, denen ein Doppelzimmer in anderen Hotels verwehrt wird.
Bisweilen mit sentimentaler Verklärung schauen Cox und Toda mit ihrem Dokumentarfilm auf ein bedrohtes, aber längst nicht verschwundenes Milieu. Was für ein Verlust das Ende der Love Hotels bedeuten würde und welch ein locus amoenus sich hier zwischen Bezahlautomaten und Roboterstimmen verbirgt, zeigen die Geschichten der Protagonist_innen dafür umso deutlicher.
Darunter ist auch die von Masa und Rumi, zwei alten Menschen, die sich im „Angelo Love Hotel“ treffen und im nervös flackernden Neonlicht des Diskozimmers einen kleinen Walzer zu tanzen. Sie sehen glücklich aus.