Der Ort ist kaum identifizierbar. Dunkelheit liegt über der merkwürdig unwirklich erscheinenden Szene. Diese spielt nachts in einem Waldstück, das an einen Fluss grenzt. Junge Menschen bewegen sich wie in Trance zwischen den Bäumen, besteigen einen ausrangierten Kahn, in dessen Bauch, nur gedämpft vernehmbar, offensichtlich eine Party stattfindet. Es ist der November 1992, und die Vorboten der aufkommenden Pariser House-Bewegung suchen sich ihre eigenen, ausgefallenen Locations. Eine verschworene Gemeinschaft jungendlicher Hedonisten erfindet für sich Gegenorte für ein heimliches Leben, das die ausgelassene Feier und den entgrenzenden Rausch sucht. Vereint durch die Leidenschaft für die Ekstasen der Musik und den Traum von einem euphorisierten Leben kreieren die Jugendlichen eine parallele Welt aus elektronischen Beats und gefühlvollen Sounds, aus Euphorie und Melancholie. Garage House, apostrophiert als „Gesang der Maschinen“ (nach den gleichnamigen Comics von Mathias Cousin und David Blot) oder einfach nur als „Disco in modern“, wird geboren.
Mia Hansen-Løves neuer, mittlerweile vierter Film heißt deshalb „Eden“. Ihr atmosphärisch dichtes Generationenportrait, das eine Zeitspanne von etwa zwanzig Jahren umfasst, spürt den Energien eines Lebensgefühls nach, ohne dies ins „Paradiesische“ zu verklären. Vielmehr versteht sie ihren Film als „eine Hommage“ an eine Zeit „voller strahlender und glücklicher Augenblicke“, die zugleich voller Schatten ist und schließlich in einer gewissen Ernüchterung respektive Entzauberung mündet. Doch Hansen-Løve destilliert daraus keine moralische Belehrung. Stattdessen zählen für sie die Umwege des gelebten und deshalb stark machenden Lebens, auf denen sie in einer Chronologie der Ereignisse ihren Helden Paul (Félix de Givry), einen aufstrebenden DJ, „durch Licht und Schatten“ begleitet. Diese sanfte und introvertierte Figur, die sich mit Haut und Haaren dem stilbildenden Garage-Sound verschreibt, hat die Regisseurin ihrem Bruder Sven Hansen-Løve, einem DJ des sogenannten „French Touch“, nachempfunden.
Mit einer offenen Dramaturgie, einem geradezu dokumentarischen Realismus und sehr viel tanzbarer Musik folgt der Film einem Leben ohne Haltepunkte, dessen praktische Aspekte sich in einem Nebel aus Drogen, rauschhaften Partys und konstanter Musikverrücktheit auflösen. Zwar ist Paul zunächst noch als – so lässt sich vermuten – Literaturstudent immatrikuliert, doch davon ist nichts zu sehen. Mia-Hansen Løve konzentriert sich vielmehr auf die praktische Arbeit des DJs, beschwört Stimmungen und folgt ihrem Protagonisten durch diverse, wechselnde Liebesbeziehungen (seine Freundinnen werden u. a. von Greta Gerwig und Pauline Etienne gespielt) samt ihren Krisen. Dabei driftet Paul, der zusammen mit seinem Kumpel Stan (Hugo Conzelmann) das DJ-Duo Cheers bildet, immer mehr ab, entwickelt ein „Drogenproblem“ und häuft Schulden an. Fast unmerklich verliert sich die Szene, zerbrechen Freundschaften; als würde Paul, der über die Jahre eine Mansarde bewohnt, aus der Zeit fallen, läuft sein Erfolg nach und nach aus. Unspektakulär und mit feinen Zwischentönen bilanziert der Film die menschliche Seite dieses schillernden Werdegangs, an dessen vorläufigem Ende Robert Creeleys Gedicht „The Rhythm“ über den Rhythmus des Lebens steht.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu 'Eden'.