So leicht und entspannt wie sich die beiden Jugendlichen in der Eingangsszene an einem Swimmingpool fläzen, um sich im freundlich wärmenden Sonnenlicht den aktuellen Wert auf ihrer persönlichen „Faulheitsskala“ mitzuteilen, so unangestrengt und natürlich wirkt auch Daniel Ribeiros preisgekröntes Spielfilmdebüt „Heute gehe ich allein nach Hause“ („Hoje eu quero voltar sozinho“). Die Kamera erfasst die rechtwinklig angeordnete Szenerie dabei aus der Vogelperspektive und etabliert damit auf sanfte Weise jenen Konflikt zwischen zärtlicher Nähe und freiheitsliebender Distanz, der sich im Hinblick auf seine Hauptfigur leitmotivisch durch den Film zieht. Denn zwar ist Leonardo (Ghilherme Lobo) von Geburt an blind, trotzdem oder gerade deshalb wünscht sich der sympathische Teenager aber vor allem Normalität. Wie seine Freunde befindet er sich in einem Alter, in dem Verstand und Sinne nach Selbständigkeit streben. Und das bedeutet für Leo vor allem, sich gegen seine zwar einfühlsamen, aber eben auch sehr besorgen und kontrollierenden Eltern zur behaupten.
Seine beste Freundin Giovana (Tess Amorim), die heimlich in ihn verliebt ist, kultiviert auf ihre Weise diesen Beschützerinstinkt. Dass sie meistens das vergitterte Tor zu Leos gutbürgerlichem Elternhaus aufschließt, spricht diesbezüglich eine deutliche Sprache. Andererseits signalisiert der relative Wohlstand der brasilianischen Mittelschicht, in dem Ribeiros humorvolles Pubertätsdrama situiert ist, eine unverkrampfte, fast selbstverständliche Offenheit. In ihr wächst nicht nur sehr behutsam Leos Freundschaft zu Giovana, sondern mit der ersten Liebe wird auch Leos Sexualität geweckt. Dass diese zunächst übers Ohr vermittelt wird, ist naheliegend, zumal der blinde Jugendliche ein Freund klassischer Musik ist. Denn dass sich Leo in seinen neuen Klassenkameraden Gabriel (Fabio Andi) verliebt, der lieber Belle and Sebastian hört, verstärkt nur noch die gegenseitige Anziehung.
Daniel Ribeiros Film „über das sexuelle Erwachen eines blinden Teenagers“, der im Grunde die Ausarbeitung seines zuvor mit gleicher Besetzung entstandenen Kurzfilms „Eu não quero voltar sozinho“ (dt. „Ich möchte nicht allein zurückgehen“) ist, bezieht die sexuelle Orientierung seiner Helden allerdings primär auf die „universelle Geschichte“ des Erwachsenwerdens. Nicht zuletzt daraus resultiert die ebenso große wie selbstverständliche Freiheit des Films, der den noch unsicheren Schritten seiner Helden immer wieder eine federnde Leichtigkeit verleiht und sie durch innere und äußere Konflikte hindurch ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen.