Postfordismus-Projektionen und künstliche Männer
Der Turing-Test – benannt nach dem unlängst in 'The Imitation Game' verkitschten britischen Computerpionier – geht ungefähr so: Kann ich unterscheiden, ob die Intelligenz, die am anderen Ende einer Leitung (also so, dass sie meinem sofort Gewissheit schaffen wollenden Blick entzogen ist) mit mir kommuniziert, menschlich oder künstlich ist? Und (das sagt sich gleich fast von allein dazu) was ist das jeweils – menschlich und künstlich? Seit einiger Zeit ist auch die Sicherheit dieser Unterscheidungskategorien selbst zunehmend einem Test ausgesetzt, ist zur Disposition gestellt, instabil, prekär. Dass das so ist – die Prekarität der Menschlich-Künstlich-Unterscheidung –, davon singen uns manche SciFi-Fiktionen, zumal solche des Kinos, ein Lied: Sobald blade und andere (auch schlanke) Runner mit Ablaufdatum, Cyborgs, Roboter oder andere gebaute Wesen mit eingebauten Denkanlagen ins Spiel kommen, stellt sich der Verdacht, ihre Künstlichkeit sei so etwas wie die wahrere oder höhere Menschlichkeit, fast reflexartig ein.
So weit, so common sense. Der britische Kammerspiel-Techno/Psychothriller 'Ex Machina' macht es kompliziert, weil explizit und offensichtlich. Zum einen ist die Turing-Test-Situation im Plot des Films beim Namen genannt und Thema eines Ablaufs von Sessions, die eine Art Kapitelgliederung liefern. Ausgangssituation: Ein junger, unsicherer Programmierer wird von seinem Konzernboss, einem Software-Mogul und K.I.-Genie, zu sich in sein abgeschiedenes Luxuslabor beordert. Er soll dort, als einziger Gehilfe seines Chefs, testen, wie seine Dialogpartnerin, die sichtbar hinter einer Glasscheibe ihm gegenüber sitzt, programmüberschreitende Kreativallüren, sprich: menschliche Intelligenz, manifestiert. Diese Dialogpartnerin namens Ava ist künstlich, und zwar offensichtlich; sie ist – gut – gebaut, halb junge Frau, halb Robot mit Glasfaserskelett.
Die Frage ist also: Was lässt sie human wirken? Welche Art von sprachlicher, mimisch-gestischer, alsbald auch hetero-erotisch aufgeladener Kommunikation hinter Glas bewirkt, dass Ava als menschlich anmutet – trotz aller Evidenz ihres Technokörpers? 'Ich weiß sehr wohl, dass hier nur technisch vermittelte Erscheinung ist und keine Präsenz in Fleisch und Blut, aber trotzdem lege ich in diese Erscheinung soviel von meinem Gefühl, als hätte ich den Eindruck, dass da etwas ist' – der in diesem Satz ausformulierte Wahrnehmungs- bzw. Verleugnungsmodus galt einmal als das Schema einer Wahrnehmung, die dem Kino insgesamt ganz nah und innig ist, galt als Schema schlechthin für das, was ein*e Filmzuschauer*in erfährt, wenn er*sie im Kino sitzt, also in jener in den Seventies und Eighties als 'ideologischer Verkennungsapparat' analysierten Einrichtung, die uns – so hieß es – Wesen wahrnehmen lässt, wo nur Repräsentationstechnik waltet.
Um Projektion geht es in 'Ex Machina' von vornherein: Nicht dass Projektion stattfindet – d.h.: nicht dass etwas Technisches so wahrgenommen wird, dass sich etwas Wesenhaft-Menschliches in ihm zeigt –, ist hier der Über(raschungs)schmäh, sondern ihre Reichweite. Sprich: Der Schmäh liegt darin, wen das Projizieren aller in seine Eigendynamik hineinzieht. Zwischen Mauern aus Sichtbeton und Monitoren der Totaldurchsicht fällt der Test zunächst auf den jungen Tester zurück, zunehmend aber auch auf seinen testosterongetriebenen Chef – und schließlich die ganze Zeit über auf uns, die wir dem testenen Treiben zusehen, zuhören, es goutieren; die wir vermeinen, all das prüfend zu durchschauen, während wir in unserem Wahrnehmen – auch als 'zerstreute Examinator*innen' im Sinn von Walter Benjamin Button – doch zumindest gebannt sind. Für letzteres, den gut gebauten Bann, sorgt die genaue Gemessenheit im Bild und in den superschicken Beton-, Glas- und Holzarchitekturen, auch im blubbernden Ambient-Score von 'Ex Machina': Das baut und webt uns ein, setzt uns auf unsichere Positionen im Verhältnis zu den Macht- und Beobachtungsspielen, die ein im Wesentlichen dreiköpfiges Mini-Ensemble vorführt: Domhnall Gleeson als der Jungprogrammierer und Alicia Vikander als Ava testen einander, Oscar Isaac ist als Chef undurchsichtig. (Die vierte Figur ist Sonoya Mizuno stumme asiatische Dienerin, in deren Erscheinung an der Peripherie des weißen Beziehungsdreiecks das Motiv vom unerwarteten Eigensinn der zweckbestimmt Gesteuerten noch einmal ethnisch formuliert und postkolonial getönt ist.)
(Und gleich noch eine Klammerbemerkung: Für den grandiosen Hollywood-Neo-Star mit guatemaltekisch-kubanischer Herkunft Oscar Isaac ist die Boss-Rolle in 'Ex Machine' die vorläufige Quersumme aus seinen bisherigen Rollen als mehr oder minder Ungustl – manche davon problematisch, weil im Ressentiment-Stil gezeichnet: einerseits als sexuell und ethnisch anderer Usurpator einer Rolle, die dem filmischen Entwurf zufolge ein Würdigerer einnehmen sollte – Prätendent Prinz John in 'Robin Hood' oder der Ehemann der Mulligan, gezeichnet als zartes blondes, zu rettendes Geschöpf, in 'Drive'; anderseits als charismatischer, obsessiv getriebener Boss eines rücksichtslosen 'Betriebs' – Bordellbetreiber in 'Sucker Punch', Speditionsunternehmer in 'A Most Violent Year'.) (Und, ja, den Llewyn Davis hat er auch gespielt.)
Alex Garland, als Scriptautor von '28 Days Later', 'Sunshine' und 'Never Let Me Go' mit nonhumans in Soziallabors vertraut, variiert in seinem Regiedebüt 'Ex Machina' gekonnt (mitunter aber auch etwas gar klugscheißredselig) das Motiv der seduktiven Maschinenfrau, die menschlich wird, indem sie an Allzumenschliches appelliert, indem sie nämlich erwartungsgemäße männliche Reaktionen auf ihre Erscheinung als zartes, sensibles Geschöpf vorweg kalkuliert. Das Spielen einer (gerade in ihrer Halbnacktheit bzw. Plexiglastransparenz) Undurchschaubaren auf der Klaviatur des maskulinen Masochismus: Es ist gar nicht notwendig, diese Motivik groß auszuwalzen und dadurch womöglich den Spoiler-Alert auszulösen. Denn: Die gewitzeste, auch witzigste, Wendung von 'Ex Machina' liegt nicht im Spiel mit dem Erscheinen von Weiblichkeit, die noirish ist aus Tradition, sondern im Erscheinen der Spiele einer Männlichkeit, die narrisch ist aus Routine (daft by definition). Die Witz-Wendung liegt nicht im Unvorhersehbaren seitens des Robot-Girls, sondern im ganz Vorhersehbaren, ganz Programmgemäßen (das dann in aller Offensichtlichkeit auch noch eintritt) der Reize und Reaktionen einer anderen künstlichen Humanität, eines anderen sozialtechnisch geformten Habitus, nämlich der Powerburschenmännlichkeit in ihren Zwiesprachen und Zwiespalten. Diese Lebensform, gezeugt in den Alltagslaboren der postfordistischen Kapitalakkumulation und Menschen(selbst)führung, wird in 'Ex Machina' ausgestellt.
Das betrifft das allmähliche Keimen einer Ritter-Retter-Phantasie in dem sanften Nerd, der sich für auserwählt hält, die Schöne aus den Fängen des Obszönen zu befreien; und es betrifft mehr noch die Umgarnung des verliebten und gebannten Ritters durch seinen schamlos schönen Boss, der ganz durchtrainierter Dance-Dude ist und barbäuchiges Buddy-Charme-Programm mit Vollbart unter der sexy Glatze und Leichtbier in der einen Hand (die andere braucht er für die vielen Schulterklopfgesten von bro zu bro im Büro, mit denen heute Firmenimperien, Labors und Arbeitsräume regiert werden, die sich von Bobo-Wellness-Hotels nur per Projektion unterscheiden lassen). Dass es in 'Ex Machina' um Phantasiebilder der kalt kalkulierenden Femme Fatale-Maschine gehen soll, ist pure pubertäre Projektion; in Wahrheit ist der deus ex machina, der Gott, der durch seine Herkunft aus der sozialtechnischen Lifestyle- und Führungsstilmaschine bereits prekarisiet ist, und der dennoch so ohne jeden Genierer aus der Maschine springt, dass sein Anblick geil und peinlich zugleich anmutet, das Macher-Männlein mit seinen gläsernen und fleischlichen Sixpacks als unmögliches Subjekt. Die Hommelette in Dispositiv-basierter narzisstischer Selbstverkennung, oder: Spiegel-Eggs Machina.
Übrigens, der Disco-Song, zu dem Isaac und Mizuno tanzen – aber wie! Ein Programm wird Ob-Szene! –, ist 'Get Down Saturday Night' von Oliver Cheatham (Baujahr 1983). If you can’t cheat-ham, join ‚em: 'After a long day of Turing Test, you gotta unwind,' sagt dein geiler Boss und zwingt dich zum Mit-Genießen.