Es gibt unter den Filmemachern eine kuriose, stets etwas ungelenke Gattung: die sentimentalen Filmgeschichts-Nerds. In der französischen Nouvelle Vague gehörte es für die Regisseure zum guten Ton, als Kritiker oder Filmkurator gearbeitet zu haben und die Meisterwerke vergangener Generationen bis ins Detail zu kennen und geschickt zu zitieren. In Hollywood dagegen sind die Filmgeschichts-Romantiker eine vernachlässigte, aussterbende Art – hier geht es ums Jetzt! Jetzt! Jetzt!, nicht um die Reize längst vergangener Filmepochen. Entsprechend schlecht geht es den weniger verbliebenen Filmnerds in Hollywood: Cameron Crowe, mit seinem Interview-Buch mit Billy Wilder und seiner Vorliebe für die Verlierer-Figuren aus dieser Goldenen Ära der Traumfabrik, sucht derzeit sein verlorenes Publikum. Steven Soderbergh, dessen Noir- und Gauner-Experimente eine vergangene Ästhetik neu erfinden wollte, hat das Filmemachen zugunsten der Kunst aufgegeben. Und Sam Mendes, mit seinen Sirk-esken Vorstadtmelodramen und seine Neo-Noirs, lässt sich nur noch für die ebenfalls sentimentale Bond-Reihe von seiner Theaterarbeit ablenken.
Der König unter diesen herrlichen Narren ist aber sicherlich Peter Bogdanovich. Mindestens ebenso sehr Filmwissenschaftler wie Filmkünstler, hat er sich einst an die längst vergessenen Stars seiner Zunft heran geworfen, an John Ford, Howard Hawks, Orson Welles – mit Retrospektiven und Interviewbüchern für die, die noch stehen konnten, und mit Behausung und Alkoholzufuhr für die, die am Ende waren. Stets träumte er davon, mit seinen eigenen Filmen das Goldene Zeitalter wiederzubeleben und Genres wie das Melodrama, den Kostümschinken oder die Screwball-Komödie neu zu erfinden. Ob er es als Ehre oder bittere Ironie empfindet, dass seine Karriere erstaunlich ähnlich verlief wie die seines großen Vorbilds Orson Welles – nach einigen bejubelten Frühwerken kam viel Mittelmaß und einige inspirierte, aber verkannte Altersarbeiten – darüber kann man nur spekulieren.
Nun hat Bogdanovich nach 13 Jahren Pause seinen ersten Film vorgelegt, und im Gegensatz zu anderen, enttäuschenden Revivals großer Indie-Filmemacher (wie Nicolas Roegs unfreiwillig seltsamem „Puffball“ nach 12 Jahren im Exil oder Whit Stillmans lauwarmem „Damsels in Distress“ nach 13 Jahren Abwesenheit von der Leinwand) ist das hier ein Rückkehrerfilm zumindest auf Augenhöhe mit seinem bisherigen Werk. Nun sollte man für die Nicht-Eingeweihten allerdings klarstellen, was das heißt. Denn nur in den seltensten, inspiriertesten Momenten seiner Karriere (beispielweise in seiner Slapstick-Farce „Is was, Doc?“ oder der sträflich unterschätzten Theater-Revue „Noises Off“) ist es Bogdanovich wirklich gelungen, die sichtbare Anstrengung und Gewolltheit seiner stilistischen Eskapaden zugunsten einer eleganten Leichtigkeit abzuschütteln. Diesen beinahe Zen-artigen Zustand der völligen Immersion in eine Filmepoche oder Ästhetik, die nicht mehr den heutigen Sehgewohnheiten entspricht, erreicht sein neuestes Werk „She’s Funny That Way“ nicht durchgehend. Das macht den Film zu einer etwas anstrengenderen, verkopfteren Erfahrung – aber trotzdem zu einer zutiefst lohnenswerten.
Der „Fehler“ besteht wohl darin, dass Bogdanovich den Stoff, den er bereits seit Jahrzehnten in der Schublade hatte, nicht in die heutige Zeit transportiert bekommt, wie ihm das mit „Is Was, Doc?“ in den Siebzigern oder „Noises Off“ in den Achtzigern gelungen ist. Die Ensemble-Farce „She’s Funny That Way“ um eine Prostituierte, die ein Schauspiel-Engagement erhält und anschließend durch einen Figurensumpf mit einem fremdgehenden Theaterregisseur, einem eifersüchtigen Stammkunden, einem treudoofen Autor und ihrer hysterischen Therapeutin navigieren muss, wirkt, im Guten wie im Schlechten, wie ein Rückfall in die Geschlechtersatiren der 30er oder 40er, mit vertauschten Hotelzimmern, verwechselten Identitäten, Ohrfeigen, Hunden und generell genüsslichem Knallchargentum. Die Schauspieler legen da freudig und größtenteils erfolgreich noch eine Nostalgie-Schippe mit drauf: Imogen Poots gibt die großäugige, großmäulige Hure mit dem Herz aus Gold, die sicherlich nur ein Zelluloid-Klischee ist; Owen Wilson stottert und irrlichtert in seinem besten Woody-Allen-Pastiche, und die praktisch totgesagte Jennifer Aniston beweist ungeahntes Talent, indem sie alle Regler auf 11 dreht und damit beinahe den Film sprengt. Dazu kommen Cameos von alten Bogdanovich-Gefährten wie Tatum O’Neal und Cybill Shepherd oder von aktuellen Stars wie Michael Shannon, der einen so glorios unnötigen Mini-Auftritt für einen so absurd nebensächlichen Oneliner hat, dass man vor Freude japst. Es ist also kein Meisterwerk geworden, das uns beweisen könnte, wie zeitgemäß und passend manche vergessenen filmischen Strategien für die Darstellungen der heutigen Gesellschaft wären. Es fühlt sich eher so an, als würde man eine verschollene Kuriosität wiederentdecken (vielleicht ein Nebenwerk von Preston Sturges), die zweifelsohne von größtem Unterhaltungswert ist, aber uns auch stets an ihr Alter erinnert.
Doch, wie gesagt, das ist nicht das schlechteste Gefühl, das man beim Ansehen eines Films haben kann. Tatsächlich scheint diese leichte Angestaubtheit sogar Teil von Bogdanovichs Agenda zu sein, zumindest spielt er in einigen Momenten durchaus geschickt damit. Beispielsweise gibt er dem Film eine bewusst illusionsbrechende Rahmenhandlung in Form eines Interviews über die Anfänge einer jungen Schauspielerin. Diese, es ist natürlich die vermeintliche Ex-Prostituierte, die es inzwischen nach Hollywood geschafft hat, bekennt sich im Gespräch offensiv zu den Werten des traditionellen Hollywood und beschwört mit beinahe heiligem Ernst die alte Weisheit, dass eine Geschichte erlogen, albern und konstruiert sein darf, solange sie nur unterhaltsam ist – ganz besonders eine Lebensgeschichte. Es geht gar nicht um Abbildung von Realität, sondern um die Perpetuierung von Mythen und den Umgang mit liebevollen Stereotypen. So ist es nicht verwunderlich, dass Wes Anderson und Noah Baumbach unter den Produzenten waren, und ebenso wenig sollte es eigentlich überraschen, dass ausgerechnet Quentin Tarantino einen Gastauftritt hat. Vielleicht geht es dem Verein von Filmnerds und Fantasten in Hollywood ja doch nicht so schlecht, wie man anfangs meinte.