Die Zeichen dieses Films zeigen auf Neubeginn und Veränderung. Auf dem idyllischen Bauernhof der Familie Bélier, irgendwo in der malerischen französischen Provinz, wird ein Kälbchen geboren; und weil seine Hautfarbe dunkel ist und der kritische Milchbauer und Hollande-Anhänger Rodolphe (Francçois Damiens) eher links steht, bekommt es den Namen „Obama“. Dann enden die großen Ferien und die pubertierende Tochter Paula (Louane Emera), die mit hängenden Schultern geht und bald ihre erste Menstruation erleben wird, muss wieder in die Schule. Die Kamera, die eingangs noch im schwebenden Gleitflug Harmonie verströmt hat, nimmt jetzt, während Paula mit Fahrrad und Bus den langen Schulweg absolviert, Fahrt und Tempo auf. Doch zunächst und vor allem sitzt das Mädchen, dessen rote Kopfhörer ihre Musikalität signalisieren, noch in der Falle ihres Alters und kämpft gegen Windmühlen, wie die Cervantes-Lektüre im Spanisch-Unterricht unmissverständlich nahelegt.
Denn die jugendliche Heldin aus Éric Lartigaus französischem Erfolgsfilm „Verstehen Sie die Béliers?“ (La famille Bélier) steht im Zentrum eines von allen Seiten beanspruchten Kräftefelds. Paula ist nicht nur in ihren neuen, aus Paris stammenden Mitschüler Gabriel (Ilian Bergala) verliebt und dafür mancherlei Sticheleien ausgesetzt, sondern trägt darüber hinaus auch noch „das Gewicht des Andersseins“ (Lartigau). Weil sowohl ihre Eltern als auch ihr jüngerer Bruder taubstumm sind, gehört zu ihrer Mithilfe auf dem Bauernhof immer auch die Rolle der (sprachlichen) Vermittlerin. Éric Lartigaus märchenhaftes Adoleszenzdrama gewinnt zu einem großen Teil daraus sein komisches Potential: Etwa beim „arbeitsteiligen“ Käse-Verkauf auf dem Wochenmarkt; oder beim Frauenarzt, wo die noch immer verliebten Eltern wegen eines Genitalpilzes in Behandlung sind; oder auch bei der gebärdensprachlichen Übersetzung der Fernsehnachrichten. Vornehmlich in der sicht- und hörbaren Diskrepanz oder auch Verdoppelung von Zeichen und Worten liegt hier der Witz und werden zugleich Konflikte ausgetragen.
Dass Paula dabei meistens primär für das Kinopublikum „übersetzt“, ist zwar nicht gerade logisch, aber umso notwendiger für die Darstellung der konfliktreichen, mit einer typisch retardierenden Dramaturgie erzählten Geschichte. Diese spitzt sich schließlich zu in der emotional heftig geführten Auseinandersetzung zwischen der sich allmählich abnabelnden Teenagerin und ihren klammernden Eltern. Denn während die musikbegabte Paula sich auf einen Gesangswettbewerb von Radio France in Paris vorbereitet, daran wächst und sich selbst entdeckt, wird sie von ihrem Vater für seine Bürgermeisterkandidatur beansprucht und überdies von ihrer Mutter Gigi (Karin Viard) emotional unter Druck gesetzt.
Gefördert wird Paulas Unabhängigkeitsstreben von ihrem ebenso kompromisslosen wie einfühlsamen Musiklehrer Thomasson (Éric Elmosnino), einem gescheiterten Idealisten und Michel Sardou-Verehrer, der das Mädchen bezeichnenderweise das Chanson „Je vole“ („Ich fliege (aus“)) einstudieren lässt, in dem sich die Thematik des Films gewissermaßen kondensiert. Es gibt aber noch einen zweiten, nicht minder ergreifenden Höhepunkt: Wenn Paula und Gabriel im Duett bei einem Konzert in der Schule vor der versammelten Elternschaft Sardous „Je vais t’aimer“ anstimmen, übernimmt der Film plötzlich die „akustische“, also „lautlose Perspektive“ der Gehörlosen und vermittelt insofern auch den Kinozuschauern – ein verblüffend intensiver Effekt – die von der Musik ausgelösten Gefühle über die bewegten Mienen des zuhörenden Publikums.