Remedy

(USA 2013; Regie: Cheyenne Picardo)

Top, ziemlich weit unten

Beim Stichwort „BDSM“ nicht gleich an den „größten globalen Bestseller der letzten Jahre“ zu denken, dürfte angesichts des bevorstehenden sowie aggressiv vermarkteten Kinostarts der Verfilmung „Fifty Shades of Grey“ noch ein wenig schwerer fallen. Als ein rechtzeitig verabreichtes Gegenmittel zur geleckten Hochglanzfantasie erweist sich da schon dem Titel nach Cheyenne Picardos schmal budgetierter Debütfilm „Remedy“. Auch Picardo erzählt von einer jungen Frau, die sich in eine schillernde Grauzone begibt und zwischen Lederfesseln und gepeitschtem Fleisch Dominanz und Unterwerfung am eigenen Leib erfährt – sonst trennen ihr autobiografisch geprägtes Drama allerdings Welten vom konservativen Kitsch einer E. L. James.

Gemeinsam mit seiner namenlosen Protagonistin (Kira Davies) stolpert der Film recht unbedarft in das Leben einer Sexarbeiterin und scheint zu Beginn selbst nicht so recht zu wissen, wo es hingehen soll. Die Heldin, die sich aus einer Laune heraus entschließt, eine Stelle als Domina in einem New Yorker SM-Club anzunehmen und sich von da an „Mistress Remedy“ nennt, stöckelt etwas unsicher und rehäugig durch die einführenden Szenen und gewinnt dabei zusammen mit dem Publikum nicht bloß Einblicke in die Welt des BDSM, sondern legt zugleich auch die Struktur des Films offen: Anhand einzelner Episoden, die oft nicht mehr als die Präsenz der Hauptfigur teilen, entfaltet die Regisseurin und Drehbuchautorin Picardo nach und nach das vielschichtige Portrait eines nur auf den ersten Blick ungewöhnlichen Arbeitsplatzes.

Dabei wirkt „Remedy“ mit seiner billigen Digitaloptik sowie den krassen Stimmungswechseln anfangs beinahe naiv und trashig. Der unfreundliche Empfang durch die Domina-Kolleginnen bietet pures Klischee und bereits Mistress Remedys erster, wegen seiner Vorliebe für Zahnbehandlungen als „Marathon Man“ bekannter Kunde scheint auf eine voyeuristische Freakshow einzustimmen. Doch Picardo unterwandert das sensationalistische Potenzial ihrer Geschichte geschickt, indem sie lieber Gesichter als Genitalien zeigt und gemeinsam mit ihrer talentierten Hauptdarstellerin vor allem den psychologischen Auswirkungen der Sexarbeit auf Mistress Remedy nachspürt.

Die BDSM-Story dient in „Remedy“ nicht als Schablone für seichte erotische Unterhaltung und ist dennoch alles andere als lustfeindlich oder verurteilend. Selbst wenn Mistress Remedy mit voranschreitender Laufzeit erkennen muss, dass ihr neuer Job einige Unannehmlichkeiten und ungewollte Demütigungen mit sich bringt (von denen die Reinigung des Arbeitsplatzes nur die geringste ist), liegt Picardo wohl nichts ferner als aus den Tiefpunkten und Traumata ihrer Figur eine Moralpredigt über gefallene Mädchen herauszudestillieren. Das viszerale Unbehagen, das sich bei der jungen Domina (und wohl auch dem Publikum) immer mehr einstellt, rührt nicht etwa von einer rigiden Sexualmoral her, sondern lässt sich als eine Kapitalismuskritik lesen, die auch Arbeitswelten fernab der Sexindustrie betrifft.

Die dem Anschein nach emanzipatorische Top-Rolle der Mistress Remedy über männliche Bottoms verliert eingebunden in einen kommerziellen Kontext rasch alles Empowernde, die starke Frau dient letztlich doch vor allem der männlichen Befriedigung. Aber nicht nur Mistress Remedys authentisches Begehren stellt sich als verhandelbar, verfügbar und verwertbar heraus, sogar aus ihrer Verweigerung lässt sich noch Kapital schlagen: Als die Heldin selbstbewusst und wortgewandt einen jüdischen Kunden ablehnt, den antisemitische Beschimpfungen erregen, legt dieser als Lohn ein Bündel Bargeld auf den Tisch und pervertiert somit das störrische Unverkäuflichsein zur begehrten Ware.

Als ebenso trügerisch und vielsagend erweist sich eine mehrmals auftauchende Szene, die vortäuscht, einen privaten Augenblick darzustellen. Mistress Remedy und eine Kollegin plaudern ungezwungen bei einer Zigarette, doch was wie eine Raucherpause aussieht, entlarvt die sich zurückziehende Kamera als Arbeitsroutine: Vor den Frauen kniet ein vermummter Mann, auf dessen nacktem Rücken die kettenrauchenden Dominas einen Zigarettenstummel nach dem anderen ausdrücken. Die Geste der Ermächtigung, der Genuss und das Privatsein sind in der Fließbandproduktion aufgegangen.

Benotung des Films :

Carsten Moll
Remedy
USA 2013 - 120 min.
Regie: Cheyenne Picardo - Drehbuch: Cheyenne Picardo - Produktion: Tobias Fleischer, Cheyenne Picardo - Bildgestaltung: Serena Kuo, Matthew Van Doren - Montage: Cheyenne Picardo - Musik: Mike Gallant - Verleih: déjà-vu film UG - Besetzung: Michelle Arvin, Ashlie Atkinson, Monica Blaze Leavitt, Tim Bohn, Kelly Bray, Russell Burns, Cassiopia Coyne, Kira Davies, Frank Deserto, Abby Echiverri, Flambeaux, Danielle Furfaro
Kinostart (D): 22.01.2015

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2237008/