Ein rumänisches Fußballspiel aus dem Jahr 1988, ohne Ton und in miserabler Bildqualität. Man kann sich vermutlich gehaltvollere Filmaufnahmen aus der Spätzeit des Ceausescu-Regimes vorstellen, über die es sich zu diskutieren lohnt. Regisseur Corneliu Porumboiu hat sich für „The Second Game“ dennoch dazu entschieden, ein vergessenes Fußballspiel mit seinem Vater anzusehen und daraus einen Film zu machen. Zum einen, weil sein Vater bei dem Spiel vor 25 Jahren Schiedsrichter war. Zum anderen scheint der Regisseur zu ahnen, dass dieses Material etwas anderes zu erzählen hat, als es den Anschein hat.
Man sieht die Zuschauer im prall gefüllten Stadion in Bukarest. Sie warten auf die Mannschaften Steaua und Dinamo, die beiden stärksten Fußballmannschaften des Landes. In ihren Mänteln und Regenschirmen verschwimmen sie zu einer grauen Masse, die Spieler in den Farben Rot und Weiß sind durch das heftige Schneegestöber nicht besser zu erkennen. Das Spielfeld versinkt im Schnee, der weiß verpuppte Rasen ist praktisch unbespielbar. Trotz des heftigen Wetters entscheidet der Schiedsrichter, das Spiel regulär anzupfeifen. Schließlich steht Nicolae Ceaucescus Lieblingsmannschaft auf dem Platz. Kurz zuvor, so erzählt der Regisseur am Anfang, war der Familie Porumboiu gedroht worden. Falls sein Vater noch einmal so schlecht pfeife, hatte ihm eine fremde Stimme am Telefon gesagt, so sehe er seinen Vater nie wieder. Der Fußball rollt also direkt aus dem Blickfeld.
Wir erfahren, dass gerade – etwa ein Jahr vor dem Ende der autokratischen Herrschaft – die Mannschaft der rumänischen Armee und die des Geheimdienstes gegeneinander spielen. Und mit dieser Info schiebt sich sofort eine allegorische Ebene über das Geschehen. Man sieht im Folgenden nicht nur 22 Männer, die mit weißen Flecken in den Haaren durch den Schneematsch rutschen. Man sieht Stellvertreter der zwei wichtigsten Machtblöcke eines Regimes im Kampf um die Vorherrschaft, eingerahmt von extremen Randbedingungen der Geschichte. Die frierende Bevölkerung längst zum Statisten degradiert. Und während sich die saubere Schneedecke durch das Schießen, Hacken und Treten langsam in einen braunen Acker verwandelt, gerinnen die kämpferischen Bewegungen der Spieler zum emblematischen Abbild der ideologischen Verknüpfung von Sport und Kommunismus. Bei der rumänischen Revolution, gut ein Jahr später, werden Soldaten und Geheimpolizei, wieder im Schnee, aufeinander schießen.
„Ich mag den Schnee, er hat etwas Poetisches“, sagt der Regisseur. „Das ist keine Poesie“, antwortet der Vater. „Was ist poetisch an einem Fußballfeld, das wie ein Acker aussieht?“ fügt er hinzu. Mit dem nüchternen, gegenwärtigen Blick von Adrian Porumboiu, der sich so wie auf dem Feld auch in seinen Kommentaren fest an die Regeln des Fußballs hält, schmelzen die allegorischen und historisierenden Bemühungen so schnell dahin wie der Schnee unter dem Geholze der Spieler. Das Spiel sei nicht wichtig gewesen, sagt der Vater, es habe überhaupt keine Relevanz gehabt. Zwar habe er das Spiel aufgrund der Drohung nicht gerne geleitet, doch habe er sich nie bestechen lassen und sich an die Regeln gehalten. Und das Spiel habe stattgefunden, weil die Wetterbedingungen es eben zugelassen hätten.
Lassen die ersten Fragen noch an eine politische Analyse der damaligen Verhältnisse denken, so werden weitere Vermutungen in diese Richtung noch vor dem Halbzeitpfiff gegenstandslos. Aus der Schlacht am Ende der Tage eines Diktators und seiner rivalisierenden Truppen wird durch die lakonischen Bemerkungen des Vaters wieder das, was es ist: ein Fußballspiel bei schlechtem Wetter. Das Spiel sei langweilig, sagt der Sohn an einer Stelle schließlich. Es passiere nichts, es sei wie in seinen Filmen.
Dass „The Second Game“ historisch-politische Bezüge andeutet und diese zwar nicht verwirft, aber die Möglichkeit einer filmischen Aufarbeitung unterläuft, ist eine clevere Stoßrichtung. Auch wenn das Dokumentarische immer wieder Hinweise auf politische Umstände gibt – zum Beispiel schwenken die Kameras bei einem Streit auf dem Platz schnell auf das Publikum, weil laut des Vaters Streit im Kommunismus keinen Platz haben darf – , bemüht sich der Film selbst nicht um eine Wurzelschau der rumänischen Geschichte. Die beiden Männer konzentrieren sich auf den Fußball, plaudern über gute und weniger gute Aktionen, diskutieren die Funktionen eines Schiedsrichters, verhandeln die korrekte Regelauslegung. Eine analytische Dimension erstreckt sich am ehesten noch entlang der Unterschiede zum heutigen Fußball.
Vielleicht ist es der Hinweis auf die verderbliche Ware Fußball, die man nur in der Gegenwart konsumieren kann. Vielleicht sind es die VHS-Bilder, deren schlechte Qualität sich mit dem Schneefall zu einem Körnerchaos vermengen. Vielleicht ist es auch das minutenlange Schweigen der Männer, das sich ganz besonders im letzten Drittel des Filmes ausbreitet. In jedem Fall erteilt „The Second Game“ eine radikale Absage an Spannung, thematische Fülle und Dramatisierung. Der Film ist eine bildgewordene Verneinung von Effizienz. Noch mehr als in seinen anderen Filmen, in denen die Handlung schon mal in selbstreflexive Diskussionen abdriftet, verweigert sich der Regisseur hier der Ökonomie des Erzählens und zelebriert die Langeweile. „Keiner würde sich das heute ansehen“, sagt der Vater.
Diese Ineffizienz passt auch zur Verweigerungshaltung des Experiments. Auch wenn sich die Fragen des Sohnes, warum sein Vater nicht öfter bei klaren Fouls gepfiffen oder eingegriffen habe, als klug verpackte Frage nach dem richtigen Verhalten im falschen System deuten lassen, so bleibt unterm Strich ein anderer Eindruck: Die Vergangenheit bleibt verschwommen. Die politischen Themen verlieren sich in der Unschärfe, so wie der Fußball in der verwaschenen Aufzeichnung. Geschichtsbewältigung ist eben kein leichtes Unterfangen, prallt an einsilbigen Antworten ab und mündet manchmal im Schweigen. Am Ende bleibt die hypnotische Fahrigkeit eines Fußballspiels und die Erkenntnis, dass sich Vergangenheit nicht per Fernbedienung anschalten und begutachten lässt.