Die Dokumente sprechen in Vanessa Lapas beeindruckendem Film „Der Anständige“ über den hochrangigen Nationalsozialisten und Reichsführer-SS Heinrich Himmler. Dafür konnte die in Israel arbeitende Journalistin und Filmemacherin aus einem umfangreichen Konvolut aus privaten Briefen, Fotos und Tagebüchern der Familie Himmler schöpfen, die nach Kriegsende zunächst vernichtet schienen, sechzig Jahre später aber überraschend wieder auftauchten. In ihnen wird das Private politisch, auch wenn die große Weltpolitik, der schreckliche Krieg und die grausamen Verbrechen Himmlers zunächst weit entfernt scheinen. Gerade der Kontrast zwischen systematischem Massenmord und der ungetrübten Alltagsnormalität des Familienlebens erreicht im Verlauf des Films eine geradezu obszöne Dimension.
Nachgezeichnet wird aber vor allem Himmlers Biographie zwischen seiner Geburt im Jahre 1900 und seinem Selbstmord im Mai 1945. Durch eine ebenso geschickte wie genaue Montage des sorgfältig recherchierten Materials verschränkt Lapa familiäre Selbstzeugnisse mit selten gezeigten historischen Filmaufnahmen, um die Gleichzeitigkeit von Normalität und Verbrechen zu dokumentieren und „die innerste psycho-kulturelle Wahrheit des Bösen“ zu erforschen. So entstehen gleich mehrere kritische Geschichten, aus denen diejenige Himmlers aber herausragt.
In einem Liebesbrief an seine Frau Margarete bezeichnet sich Himmler einmal als einen „garstigen Mann mit schwarzer Seele“. Diese frivol gemeinte Selbstcharakterisierung verweist nicht nur auf eine schreckliche Wahrheit, sondern auch auf das eklatante Missverhältnis eines perspektivischen Wissens, das den Familienvater vom Mörder und die Frau von ihrem Mann scheidet. Dabei sind sich die Eheleute in ihrem reaktionären Welt- und Menschenbild durchaus einig. Der Film zeigt, wie unter den Wirkungen des Zeitgeistes und den Versprechungen des aufkommenden Nationalsozialismus aus einem leicht ausgegrenzten, konservativen Durchschnittsbürger mit Geltungsdrang ein brutaler Rassenideologe wird.
Die frühe Verachtung des Fremden und Anderen, der Ruf nach Disziplin und Ordnung sowie Elitedenken und ein mangelndes Unrechtsbewusstsein sind einige der furchtbaren Konstanten, die Himmlers Charakter bestimmen. Seine Vorahnung einer „grausigen Zukunft“ bewahrheitet sich im millionenfachen Massenmord schließlich auf unmenschliche Art und verweist zugleich auf eine überindividuelle geschichtliche Dynamik. Vanessa Lapa geht es aber nicht um eine Entlastung der Täter; ihre mitunter kommentierende Montage stellt vielmehr Fragen und zeigt in erschütternden Bildern die historischen Verbrechen und die noch immer schwelenden Wunden.
[Zu diesem Film gibt es hier noch eine weitere Kritik.]