“Hin und weg” ist ein Film über ein Sterben, welches keine Ice Bucket Challenge mehr verhindern kann: Er erzählt von dem an ALS erkrankten Hannes (Florian David Fitz), der gemeinsam mit Frau und Freunden eine Fahrradtour ins belgische Ostende unternimmt, wo mit einem Arzttermin zugleich seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende gesetzt ist. Solch schweren Stoff will der Film sowohl komisch als auch ernst entfalten, wobei diese Entfaltungsweisen in vielen Momenten weit mehr einander bedingen, als es jene Phrasen-Maschinerie, durch die der “emotionsgeladene” Film in journalistischem Eifer schon längst gedreht wurde, zu erfassen gestattet: “emotionale Balance”; “emotionale Trickkiste”; “Achterbahnfahrt der Emotionen” – die Kritik scheint noch weit mehr von “Emotion” beseelt zu sein als der Film selbst. Wenn sich die Schreiber dann noch zur Schlussfolgerung hinreißen lassen, dieser Film zeige “Freundschaft, die alle Grenzen des Lebens überwinden kann”, so ist zu befürchten, dem von “Emotion” betäubten Leser komme gar nicht mehr in den Sinn, dass der Film seine Eigenschaften als Herz-Zerreißer vielleicht gerade aus dem Umstand bezieht, dass selbst die engste Freundschaft nicht alle Grenzen gemeinsam überwindet.
Eigentlich gibt der Titel den Zusehern eine zynische Perspektive in den Film mit, die solch rhetorischer Überhöhung entgegensteht: “Hin und weg” ist eben nicht nur das vom Film “emotional” mitgerissene Publikum, “Hin und weg”, das ist auch Hannes, wenn er hin-fährt nach Belgien, um dann für immer weg zu sein. Fassen wir das als Aufforderung auf, erlauben wir uns einmal eine zynische Distanz. Dann dürfen wir feststellen: Über das Sterben gibt es schon Filme zur Genüge. Was sollte gerade diesen so besonders machen?
Aus einer langen Tradition erkennen wir viele Versatzstücke wieder, die da in “Hin und weg” radfahrend re-cycled werden: Das Meer, der Strand und der Dreier z.B. aus “Knockin’ on Heavens’ Door”; der verständnisvolle Freundeskreis, wie er etwa in “Les invasions barbares” den Sterbenden begleitet (eine, wie ich finde, exzellente filmische Bearbeitung dieses Topos); oder das Spiel mit und um die versäumten, aber nachzuholenden Erlebnisse, das sowohl Schweiger und Liefers, als auch Nicholson und Freeman spielten. An dieser Stelle darf der von der deutschen Film- und Medienbewertung gestellte hochqualifizierte, behördliche Verdacht entkräftet werden, dass “heitere Elemente” dieser Art bloß aufgrund ihres Auflockerungscharakters, d.h. zur “emotionalen Entlastung” in den Film gefunden haben – nein, diese kommen aus dem Herzen der Tradition und funktionieren auch erst vor dem Hintergrund einer drohenden Vergänglichkeit, die sinnstiftend über allem thront.
Was “Hin und weg” aber anders macht: Das Verhältnis seiner Figuren zum Sterben selbst scheint mir in einer eigentümlichen Ambivalenz zu stehen. Denn hier gibt es keine gestohlenen Unsummen, die es erlauben, im Angesicht des Todes einmal so richtig die Sau rauszulassen. Das Spiel des Einmal-wirklich-lebens wird dementsprechend weitgehend von der Hauptfigur ausgelagert auf die restliche Reisegesellschaft, die da ihre Aufgaben zu erfüllen hat. Natürlich, die Vergänglichkeit thront auch hier, aber sie ist räumlich nicht anwesend: Kein Krankenhausaufenthalt zum Beispiel gemahnt an den nahenden Tod. Auch wird kein Riss im Alltag geschildert, in dem Sinne, dass die Krankheit zum bestimmenden Faktor der Lebensgestaltung wird. Das Reisen an sich mag demgegenüber einen solchen Bruch mit alltäglichen Routinen darstellen; aber “Hin und weg” zeigt uns ein Reisen, dem im Beisammensein mit Freunden die Funktion einer Wiederholung liebgewordener Erfahrungen aufgenötigt wird: Noch einmal die Dinge erleben, für die es sich zu leben gelohnt hat. Damit fällt auch die Möglichkeit weg, dass sich der Protagonist in einer letzten Anstrengung einer höheren Aufgabe widmet – wie etwa, der nächsten Generation einen Spielplatz zu hinterlassen, was im klassischsten aller filmischen Sterbe-Werke von Kurosawa geschieht. Im Rahmen einer solchen Konstellation wird das Fahrradfahren sowohl zum Beweis einer körperlichen Tauglichkeit, die gegen die Vergänglichkeit aufgebracht wird, als auch zum Medium, mit dem buchstäblich auf das Lebensende zugesteuert wird. Das wäre viel Potential, welches der Film nur in Ansätzen entfaltet.
Somit: Ein mit viel Geschick inszenierter, unterhaltsamer, auch anrührender, aber nicht rührseliger Film, mit einem wundervoll agierenden Ensemble.