Ein Lichtpunkt löst sich aus der Dunkelheit, wird größer, wandelt sich zur Sonne, die sich verdunkelt, wird zum Objektiv, zum Auge. Auf die kosmische Metamorphose folgt eine irdische, von Störgeräuschen und irrlichternden Sounds unterlegt: In einer in der Dämmerung liegenden Berglandschaft birgt ein unheimlicher Motorradfahrer eine Frauenleiche. Daraufhin blicken wir in einen gleißend hellen Raum, in dem eine andere Frau der Toten die Kleider auszieht, um sie sich wie eine zweite Haut überzustreifen, als nähme sie eine andere Identität an. Im Bild auf bloße, dunkle Silhouetten reduziert und im Ton hyperrealistisch verfremdet, scheint es, als vollziehe sich eine Geburt oder Schöpfung.
Jonathan Glazer spielt in seinem experimentierfreudigen und deshalb umstrittenen neuen Film „Under The Skin“ mit der Idee und den Möglichkeiten der Verwandlung, indem er extreme Kontraste zwischen Licht und Dunkelheit, dokumentarischer Wirklichkeit und künstlichen Settings gestaltet. Er verbindet dabei Elemente des Mystery-Thrillers mit Anleihen beim Science-Fiction-Film, um die rätselhafte, für vielerlei Interpretationen offene Parabel zu erzählen.
Die mysteriöse Fremde (Scarlett Johansson) aus einer anderen Welt, die weder Nahrung noch Wärme zu brauchen scheint, ist eine Femme fatale. Mit starrem Blick, rot angemalten Lippen und schlafwandlerisch mechanischen Bewegungen spricht sie, verfolgt von einer subjektiven Handkamera, männliche Passanten an, um sie zu locken, zu verführen. Gebannt vom sexuellen Begehren, werden diese Männer zu Opfern ihrer Lust: Während sie der gefährlichen Schönen in die Dunkelheit eines verwitterten, alten Hauses folgen, versinken sie nacheinander in einer schweren, öligen Flüssigkeit, gehen dabei unter und bleiben wie in einer engen Haut gefangen, bis schließlich ihr Inneres zerplatzt und eine leere Hülle zurücklässt.
Ist die unheilvolle Fremde eine Abgesandte mit tödlichem Auftrag? Oder befindet sie sich gar auf einem Rachefeldzug gegen die Männerwelt? Weder scheint sie Schuld noch Mitleid zu kennen. Doch als ein Mann mit entstelltem Gesicht und unterdrückter Sexualität in ihren Lieferwagen steigt, erwachen plötzlich ihre Gefühle; und sie entdeckt kurz darauf in ihrem Spiegelbild sich selbst. Ihre „Mission“ beginnt zu scheitern, ein Bruch entsteht, der aus dem weiblichen Alien einen gefühlsbegabten Menschen in einer künstlichen Körperhülle werden lässt. Mit großen Augen blickt die doppelt Fremde jetzt in eine wirklich neue Welt, mit der sie – auch visuell – zunehmend verschmilzt, erlebt eine Art zweiter Geburt und wird zugleich zum Opfer.
Vor allem im zweiten Teil seines mysteriösen Films gewinnt die Handlung an Dynamik und Spannung, verwandelt sich die etwas starre Versuchsanordnung der ersten Hälfte zunehmend in einen psychedelischen Trip. Flucht, Verfolgung, Metamorphose: Der fremde weibliche Eindringling wird bekämpft (wie eine Hexe), löst sich auf, verflüchtigt sich; doch in der zirkulären Struktur des Films führt das Ende zurück zum Anfang.