Wenn die erste Einstellung das grotesk verzerrte, da von ganz nahem in die Kameralinse lugende Gesicht des Filmemachers Rami Hamze zeigt, ist das vielleicht ein passendes Sinnbild für die kleine Welle von Dokumentarfilmer_innen, die derzeit mit einem entschieden subjektiven und dabei vollkommen in sich selbst versunkenen Zugang zu ihren Sujets nerven. Aktuelle Beispiele wären das krude Urlaubsfilmchen „Amma und Appa“ von Franziska Schönenberger und Jayakrishnan Subramanian oder der im Oktober startende „Was bin ich wert?“, in dem es Peter Scharf auf umfassende Weise gelingt, eigentlich interessante politische Fragen auf seine privaten Wehwehchen herunterzubrechen. Auf den ersten Blick scheint sich auch Hamzes Film in diesen Trend einzureihen, folgt auf sein leinwandfüllendes Gesicht doch erst einmal eine ausführliche Selbstbeschreibung der eigenen Person. Im Vergleich zu seinen Kolleg_innen muss man dem jungen Kölner Regisseur und Drehbuchautor allerdings lassen, dass er seine Selbstinszenierung nicht bloß mit sanfter Ironie, sondern auch mit einigem komischen Talent bewältigt. Zwischen trashigem Größenwahn und trockenem Understatement führt Hamze sich selbst als einen Protagonisten ein, der im Grunde weiß, dass er nicht viel mehr als ein langweiliger, privilegierter Normalo ist.
Nach dieser ersten ernüchternden Selbstreflektion gibt sich der nach eigenen Angaben eher unpolitische Filmemacher einen Ruck – und seinem Dokumentarfilm gleich mit. Beseelt von dem vagen Gedanken an demokratischen Wandel und motiviert, etwas politisch Relevantes zu tun, macht sich Hamze nämlich kurzerhand gemeinsam mit seinem Praktikanten Michael und 10.000 Euro im Gepäck (woher die genau kommen, bleibt allerdings rätselhaft) auf in den Kölner Stadtteil Kalk. Die Idee dahinter ist simpel: Mit der großzügigen Spende sollen sich die Bürger_innen dort unter dem Motto „Kalk für Alle“ zusammenfinden und eine große Bewegung für mehr Demokratie starten. In Kalk, einem Viertel, das öfter mal mit seiner relativ hohen Kriminalitätsrate Schlagzeilen macht und zugleich seit Jahren als das nächste große Ding in Sachen Hipness angepriesen wird, hat man aber nicht unbedingt auf den selbsternannten Demokrator gewartet. Nur zögerlich nehmen die Leute mit Hamze Kontakt auf, während der Dokumentarfilmer auf der Suche nach Vorschlägen, was man mit den 10.000 Euro anstellen könnte, durch Kalks Straßen vorbei an Wettbüros, Arbeiterkneipen und Discountern zieht. Ein lautstarker Passant, der wie die Mehrheit der Kalker einen Migrationshintergrund hat, lässt Hamze zudem wissen, dass die richtigen Kalker bei so einer Aktion sowieso nicht mitmachen würden.
Doch der Filmemacher lässt sich nicht entmutigen und tatsächlich tauchen in der provisorisch in einem ehemaligen Fahrradladen eingerichteten Zentrale bald die ersten Gruppen auf, die Ideen mitbringen, wofür das Geld denn nun eingesetzt werden könnte. Die einen wollen den Bau eines Hubschrauberlandeplatzes auf dem Kalkberg verhindern, die anderen wünschen sich einen Abenteuerspielplatz und wiederum andere wollen den Stadtteil mit Grünzeug freundlicher gestalten. Die Frage kommt auf, ob denn von diesen Vorschlägen wirklich alle Bürger_innen profitieren, zumal diese von Leuten kommen, die nicht gerade den Kalker Durchschnitt repräsentieren. Es sind nämlich vor allem die zugezogenen Bildungsbürger_innen aus der Mittelschicht, die sich hier tatkräftig engagieren. Und so macht sich Hamze auf die Suche nach einem anderen Kalk und trifft auf Menschen, die sich abseits der „Kalk-für-Alle“-Maxime längst organisiert und eigene Lebensräume geschaffen haben. Eine Gruppe arabischer Jungs, zu denen auch ein Deutscher gehört, sind der Meinung, dass das Geld lieber an die armen Kinder in Afrika gespendet werden sollte und wünschen sich außerdem, dass mehr Deutsche nach Kalk ziehen, damit es multikultureller wird. Bei einem Frauentreff halten sie auch nicht viel von Spielplätzen und mehr Grün, denn ohne Job und Geld in der Tasche mache so ein Lavendel am Wegesrand halt auch nicht glücklich.
Hamzes naive Vision von einer harmonischen Bürger_innenbewegung bekommt immer mehr Risse und zerbricht schließlich zugunsten einer schillernden Realität. Denn auch in Köln-Kalk, zwischen Shopping Mall und Autonomem Zentrum, Designerbüros und gemeinnütziger Essensausgabe, ist es nicht damit getan, sich auf das ominöse Feindbild „Gentrifizierung“ einzuschwören und mit etwas Geld und guten Absichten schlagartig alles besser machen zu wollen. Wie Hamze beim Scheitern als großer Demokrator ein lehrreicher Dokumentarfilm zwischen Realsatire, Wahlkrimi und Sozialkomödie gelingt, ist dennoch sehenswert. Welche seltsame Blüten seine Utopie in der Wirklichkeit treibt, zeigt sich eindrücklich am Gewinnerprojekt seiner „Kalk-für-Alle“-Aktion: Da ist nämlich mit einem Großteil des Geldes ein Kulturcafé namens „Raum“ entstanden, das mittlerweile um seine Existenz kämpft und auf seiner Homepage mit einem Programm lockt, das neben Liedermachern zu lauschen, zu singen und zu tanzen, Bäume zu pflanzen, Yoga, Kaffekränzchen und Poetry Slams selbstverständlich auch Flüchtlingen zuzuhören umfasst.