Einst ein gefeierter Architekt, ist Hans Dallinger im Jetzt nur noch eine arme Wurst, der statt auf dem Titelblatt der „Monopol“ bloß noch auf den bunten Zeichnungen der kleinen Tochter gewürdigt wird. Und selbst auf den Kunstwerken der Grundschülerin wird der Vater vielsagenderweise um einen ganzen Kopf von Mutti überragt. Der Grund für Hans‘ Versagen als Familienoberhaupt und sein berufliches Scheitern ist aber nicht etwa eine karrieregeile Ehefrau, sondern eine Krankheit: Bereits seit seiner Jugend leidet Hans an paranoider Schizophrenie, die schubweise immer wieder auftritt und dann vor allem die Menschen um ihn herum auf eine harte Probe stellt. Während der Kranke selbst von seiner Psychose nichts wissen will und sich zunehmend in Wahnvorstellungen verliert, sind seine Frau Elli und die beiden Kinder Simon und Maja bemüht, der Außenwelt eine heile Familie vorzuspielen und den Schaden, den Hans anrichtet, auf ein Minimum zu beschränken. Doch als der Architekt sich wie besessen in seine Arbeit stürzt, um sein berufliches Comeback voranzubringen, lösen Stress und Druck einen weiteren paranoiden Schub aus, unter dem nicht nur die Satellitenschüssel der Nachbarn zu leiden hat. Die Situation droht zu eskalieren und besonders für den 22-jährigen Simon wird klar, dass es so nicht weitergehen kann.
Eigentlich war es ja eine Schrotflinte, mit der der Vater eines Jugendfreunds die Nachbarschaft unsicher machte, verrät der Regisseur und Drehbuchautor Christian Bach in einem Interview. Doch so ein Rumgeballer auf der Leinwand war dem Filmemacher für sein Spielfilmdebüt, das auf wahren Begebenheiten beruht und sich eher an den leisen Tönen versucht, dann doch zu übertrieben und unglaubwürdig. Also geht der paranoide Familienvater nun mit einer vergleichsweise alltagstauglichen Axt zu Werke und bespielt damit auch gleich – „Here’s Johnny!“ – ein reizvolles filmisches Referenzsystem. Und zumindest Tobias Moretti in der Rolle des Axt schwingenden Hans scheinen diese Assoziationen an Stanley Kubricks „Shining“ nicht ganz fern zu sein, denn der Österreicher spielt auf, als müsse er neben Jack Nicholson höchstpersönlich bestehen.
Doch „Hirngespinster“ (müsste es nicht „Hirngespinste“ heißen?) schlägt schließlich einen anderen Weg ein und zeigt sich weder an Horror noch an der Filmwerdung von Halluzinationen interessiert. Statt also auf den Spuren Kubricks oder meinetwegen auch Darren Aronofskys zu wandeln und Wahn und Wirklichkeit miteinander zu verweben, erzählt Bach recht nüchtern eine exemplarische Krankengeschichte, der man den Willen zur Aufklärung deutlich anmerkt: Nachdem die Polizei die Axt erst einmal konfisziert hat und Hans in eine psychiatrische Anstalt zwangseingewiesen wurde, hört der Spaß nämlich auf und Bach nutzt seinen Film als Vehikel, um eine Menge Informationen rund um das Thema Schizophrenie unters Volk zu bringen. In bisweilen ganz schön umständlich konstruierten Szenen werden so von der verständnislosen Reaktion der Nachbarn bis zum faktenreichen Arztgespräch eine Vielzahl von Situationen abgeklappert, die eine psychische Erkrankung mit sich bringen kann. Populären Vorurteilen und gefährlichem Halbwissen entgegenzutreten mag ein löblicher Vorsatz sein, doch vieles in „Hirngespinster“ gerät der guten Absicht wegen allzu schematisch und dramaturgisch unmotiviert.
So erscheinen die Welt, in der „Hirngespinster“ spielt, und die Figuren in ihr seltsam flach. Moretti, der auch in seinen klaren Momenten einen unberechenbaren und ein wenig unheimlichen Charakter gibt, wirkt völlig deplatziert in diesem Umfeld, das an die harmlos-biederen Vorabendserien im öffentlich-rechtlichen Programm erinnert: Hier opfert sich die Mutter noch selbstlos auf, der Sohn ist trotz seiner rockigen Lederjacke ein richtiger Ehrenmann und der Familienhund Oskar macht gut gelaunt die Haustüre auf. Nicht minder befremdlich muten die Dialoge an, die zwar in einer lockeren Umgangssprache gehalten sind, aber von den Darstellern aufgesagt werden, als wären es komplizierte Theatertexte, die nur verstanden werden können, wenn auch alles schön sauber artikuliert wird und jeder mit dem Sprechen wartet, bis er an der Reihe ist.
Einmal lässt Bach seinen Protagonisten Simon der kleinen Schwester allerdings ganz anschaulich erklären, was denn mit dem Vater überhaupt los ist. Die Schizophrenie sei wie ein Traum nur ohne Schlaf, sagt der junge Mann da. Vielleicht bringt das die Sache ja ganz gut auf den Punkt. Aber was das alles denn mit dem Kino zu tun hat – die Schizophrenie, der Traum –, diese Antwort bleibt der Film schuldig.