Merkwürdig, sehr merkwürdig, dieser Film. Ansehen mochte ich ihn schon, aber er lässt mich ratlos zurück. Der Einstieg ist von hohem Aufmerksamkeitswert. 1969 die Kernschmelze eines Atomreaktors in der Schweiz, Tschernobyl vergleichbar. Doch das Unglück verbarg sich in einem Stollen tief unter dem St. Gotthard. Schotten dicht, keine Radioaktivität nach draußen, Geheimhaltung bis heute, nein, bis 2023, denn anscheinend sind wir in einem Science Fiction Film. Also stimmt das Ganze nicht? Dann ist alles, was jetzt zu sehen sein wird, Tüterkram? Man wird ja wohl mal fragen dürfen. Antwort: Man darf nicht. Das Fragen wird einem ausgetrieben. Aber kucken darf man auf die Hauptdarstellerin (Jeannette Hain). Sie soll eine Psychologin darstellen, die draußen vorm Stolleneingang, im menschenleeren Tal, Menschen befragt, die am Klima leiden. Der Luft mangele es an Ozon. Folge seien Wahrnehmungsstörungen. Statt der Gegenwart nehme man Erinnerungen und Wünsche wahr. – Aha, wir sind schon in das Innere der Hauptdarstellerin gelangt, und um den geschmolzenen Reaktor geht’s überhaupt gar nicht.
Äußerlich ist das Gesicht der gepflegten Dame sehr einprägsam, Oberschicht Großbürgertum, würde ich sagen. Häufiger Kostümwechsel im leeren Tal, keinerlei Ausdruckswechsel auf dem Gesicht. Irgendwie eine Maske. Immerhin, jetzt hebt sie die Hand, um die Augen zu beschatten. Die Gebirgssonne scheint, ihr Gesicht ist fotoreif ausgeleuchtet, nix von Schatten auf dem Antlitz. Gefühlte Einstellungslänge: drei Minuten. Ich nehme an, da ich ja nichts fragen darf, dass Regisseur Fosco Dubini ('Thomas Pynchon: A Journey into the Mind', 2001) mit dieser Ausschau-Szene (und den vielen anderen, die folgen werden) die Abkehr von der Äußeren Zone demonstrieren will, und wenn nicht, dass er selbst schon in die Innerlichkeit eingekehrt ist.
Das soll jetzt kein Verriss sein. Ich selbst hab’s dann schließlich auch geschafft, in das fraglose Innere einzutauchen. Auch ein Kritiker muss ja mal loslassen können. Keine Frage, ich will es doch auch. Tja, tief im Stollen ein verrotteter Autozug der SBB. Einfach so. Oder ein knallrotes Kleid. Oder eine großbürgerliche Villa in sattem Grün. Oder ein Licht am Ende des Tunnels. Der Verleih informiert dazu, dass Drehort der U-Boot-Stollen auf der Krim gewesen sei. Im Film kein Wort davon. Wir kommen wortlos aus der Inneren Zone raus. Eventuell ist die Therapie geglückt. Beim Regisseur, bei Frau Hain, bei mir.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 8/2014