Eigentlich beruht die Berühmtheit der “Kamikaze”-Bezeichnung, die zu einem Synonym für Selbstmordangriffe geworden ist, auf einem Missverständnis. “Kamikaze”, das heißt in etwa “göttlicher Wind” oder “Hauch Gottes” und ist in der tradierten Bedeutung zunächst als ein rettender, beschützender Wind zu verstehen, wie es jene Taifune im 13. Jahrhundert waren, die zweimal die Invasionsflotte Kublai Khans vor der Küste Japans vernichteten. Die Spezialeinheiten der japanischen Marine, die im 2. Weltkrieg Befehl hatten, ihre Flugzeuge in feindliche Ziele zu steuern, wurden “Tokkotai” genannt, was die japanische Entsprechung von “Spezialeinheit” ist; dieser Einheiten gab es mehrere, die wiederum verschiedene Namen trugen. Jene Einheit, die sich am 25. Oktober 1944 erstmals mit fünf zu Bomben umfunktionierten Mitsubishi Zero-Jagdflugzeugen auf die amerikanische Flotte stürzte, flog unter einer Bezeichnung, die nach sinojapanischer Lesart “shinpu;” gelesen werden kann, oder nach japanischer Lesart “Kamikaze”. “Kamikaze”, das bezeichnete keine gesamte Gattung, sondern nur die Abteilung der Zero-Jäger dieser Gattung, die als Wille und Wind Gottes die Feinde in die Flucht schlagen sollten.
“Wie der Wind sich hebt” erzählt aus der Biographie von Jiro Horikoshi, dem Konstrukteur des Zero-Jagdflugzeuges (auch: Mitsubishi A6M); genaugenommen erzählt dieser Film eine Geschichte, die den Zero als ein Meisterwerk erscheinen lässt, auf das diese Biographie von vornherein zugesteuert hat. Der Titel – orig. “Kaze Tachinu”, englisch “The Wind Rises” – ist Paraphrase eines Verses von Paul Valéry, in den dessen nicht so kurzes Gedicht “Le Cimetière Marin” (“Der Friedhof am Meer”) nach ausführlichen Gleichnissen von Vergänglichkeit und Anrufungen unergründbarer Naturerscheinungen mündet: “Le vent se lève! … Il faut tenter de vivre!” (“Der Wind erhebt sich! … Es muss gewagt werden, zu leben!”) Der Film legt diese Zeilen einmal in den Mund des italienischen Flugzeugbauers Giovanni Battista Caproni; sie sind als eine von vielen Äußerungen und Darstellungen des Films zu verstehen, die die Nutzung des Luftraums und die Faszination des Fliegens dem Militär oder – je nach Blickwinkel – dem Vater aller Dinge entreißen wollen. Einen französischen Vers über den Wind, der im Angesicht ewigen Vergehens zum Leben auffordert, als Motto einer japanischen Lebensgeschichte in Stellung bringen, mit deren Schaffen der “Wind” zur Bezeichnung einer berüchtigten Kriegstechnik geworden ist, das ist prekär.
Die Kontroversen, die im Vorjahr in japanischen Medien über diesen Film geführt wurden, lassen sich also im Grunde schon aus dem Ineinander von Titel und Stoff ableiten. Nationalistische Gruppierungen warfen dem Regisseur seine unpatriotische, da von Pazifismus geprägte Darstellung Horikoshis vor, während ihm von links oder seitens südkoreanischer Journalisten ganz im Gegenteil vorgehalten wurde, den Handlanger einer Tötungsmaschinerie rechtfertigen zu wollen. Dass das Studio des Regisseurs die Kriegsflugzeuge bereits im Namen trägt, wirft dabei die Frage auf, ob diese Ambivalenz nicht seit jeher Programm war.
Beim Regisseur handelt es sich um Hayao Miyazaki, der mit seinen Filmen stets in fantastische Welten führte. Entweder wiesen deren Bilder oft nur indirekten Bezug zu unserer Wirklichkeit auf; dann wurde nur an wenigen Stellen ein konkretes Band zu derselben geknüpft, wenn fast beiläufig von Jonathan Swift oder über die “neueste Mode aus Kitzbühel” gesprochen wurde. Oder, andere seiner Filme zeigten im Überschreiten der Wirklichkeit bzw. im Hereinbrechen der Imagination notwendige Formen, um Konflikte darstellen und lösen zu können. Dieser zweiten Richtung ist auch “Wie der Wind sich hebt” zuzurechnen; allerdings hatte noch kein Film Miyazakis direktere historische Referenzen; und in noch keinem seiner Filme wurden die Formen der Imagination auf einen derart spezifischen Bereich begrenzt: Die Imagination wird hier ausschließlich vom Wind getragen. Das demonstrieren die Träume Horikoshis, in denen gesprungen, gefallen, geflogen wird; aber noch mehr tun es die Erfahrungen des jungen Technikers, der am Arbeitsplatz die Kräfte, die potentiell auf seine Flugzeuge wirken, zu imaginieren imstande ist.
Selbst die Liebesgeschichte, die in diese Erzählung über das Schaffen eines Ingenieurs verschachtelt ist, gehorcht der Kraft des sich erhebenden Windes. Darin entzieht sich die schwer kranke Naoko den Liegekuren und der Hermetik des Zauberbergs, um Horikoshi – in seiner Arbeit, wohlgemerkt – nahe sein zu können. Eine Tat, im Übrigen, die voller Hoffnung an eine gleichnamige Figur in Murakamis zwanzig Jahre später angesetztem “Naokos Lächeln” ebenso herangetragen wird.
Mit einem Protagonisten, der ähnlich dicke Brillengläser wie der Regisseur trägt, ist “Wie der Wind sich hebt” als wahrscheinlich letzter Film Miyazakis vielleicht auch dessen persönlichster. In diesem Sinne ließe er sich gerade aufgrund seiner prekären historischen Stellungnahmen als Schlüssel zum gesamten Werk des Regisseurs lesen, welcher die Kehrseiten dessen wundervoller Fiktionen offenbart. So erinnern die am Boden aufgebahrten Überreste eines verunfallten Prototypen Horikoshis in der Art, wie sie gezeigt werden, an einen inaktiven Himmelskrieger aus “Das Schloss im Himmel”, der dort wieder erwachen wird; oder dürfen wir hier eine zum Fliegen konzipierte Festung sehen, die sich erstmals als gänzlich fluguntüchtig erweist, wenn ihre Flügel vom Wind zerrissen werden.
“Wie der Wind sich hebt” bringt den Krieg zur Sprache und zeigt eindringlich, wie er die Konstruktionen der Ingenieure instrumentalisiert, mitsamt den Folgen, die dies birgt; zugleich zeigt er uns die Werke der Imagination als Ausdruck des Lebens, der seinen Zweck nicht im Krieg findet und damit auch keine Verantwortung trägt – Hayao Miyazaki ist der einzige, dem ich das glauben wollte.