Ein dunkler Schatten liegt über der Familie des Fernfahrers Nicolas Merevsky (François Damiens) aus dem südfranzösischen Alès. Seit dem frühen Tod seiner geliebten Frau Isabelle im Jahre 1985 muss der gutmütige, aber überforderte Vater seine beiden ungestümen Töchter Suzanne und Maria allein erziehen. Auch wenn aus seinem Blick Stolz und aus seinen aufopfernden Bemühungen Verantwortung sprechen, resultiert aus dieser Abwesenheit ein sowohl sozialer als auch emotionaler Mangel, der nicht einfach kompensiert werden kann. Ein existentieller Schmerz wird hier zum Ausdruck für die Brüchigkeit des Lebens, die Katell Quillévérés beeindruckenden Film „Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“ (Suzanne) in vielen Szenen grundiert. Schon „Ein starkes Gift“ (Un poison violent), das einfühlsame Langfilmdebüt der französischen Regisseurin, die Maurice Pialat zu ihren Vorbildern zählt, handelt von der spirituellen Suche und dem sexuellen Erwachen eines jungen Mädchen, das in diesem Fall unter der Abwesenheit des Vaters leidet.
Für ihre neuerliche Beschäftigung mit dem vielschichtigen Thema des Erwachsenwerdens dehnt Katell Quillévéré den erzählten Zeitraum auf über zwanzig Jahre aus. Jedoch ist ihr episodisch angelegter Film kein Coming-of-Age-Epos oder gar die lückenlose Chronik einer Individuation. Vielmehr werden in ihrer elliptischen, durch abrupte Bild- und Tonschnitte gegliederten Filmerzählung die Leerstellen zum Strukturprinzip. In ihnen wird nicht nur die Abwesenheit selbst in ihren verschiedenen Formen beredt, sondern das dargestellte Leben, sein nahezu schicksalhaftes Werden und Auseinanderbrechen, angetrieben von einer übergroßen Liebessehnsucht und erschüttert von Enttäuschungen, gewinnt durch die Phantasieleistung des Zuschauers Kontur. Quillévérés offene, andeutende Erzählweise strebt nicht nach Ausformulierungen und ist doch reich und genau in der Schilderung des Milieus und in der Darstellung von Gefühlen. Hinzu kommt, dass der soziale Realismus des Films, der musikalisch flankiert wird von Hole, Noir Désir, Electrelane und Nina Simone (die eine wunderbare Gospel-Version des Leonard Cohen-Songs „Suzanne“ singt), immer wieder auch zu poetischen Lösungen findet.
Suzanne (Sara Forestier) ist gewissermaßen die Inkarnation einer verschlossenen, mit sich und den Verhältnissen ringenden Liebesverrückten, die in den schlimmsten Momenten hungrig, ausgesetzt und verloren nach Atem ringt. In ihr setzt sich die Familiengeschichte fort, ohne dass Katell Quillévéré zu sehr auf einen sozialen Determinismus fokussiert. Bereits im Jugendalter bekommt Suzanne unehelich ein Kind, was für ihren Vater der Auftakt zu einer Reihe schmerzlicher Enttäuschungen ist. Denn später verliebt sich seine labile Tochter zunächst vorsichtig tastend, dann immer leidenschaftlicher in den Kriminellen Julien (Paul Hamy), verlässt für ihn ihre Familie, lässt ihren kleinen Sohn Charlie zurück und landet später im Gefängnis, wo sie in Sprachlosigkeit versinkt. Selbst ihre innig geliebte, stets loyale Schwester Maria (Adèle Haenel) kann in dieser Phase kaum noch zu ihr durchdringen. Und auch nach ihrer Entlassung, ihrer Wiederbegegnung mit Julien und neuerlichem Mutterglück brechen die alten Wunden immer wieder auf, als bewegte sich der Prozess ihres Lebens in einer Endlosschleife von generationsübergreifenden Wiederholungen. Trotzdem öffnet sich am Ende Suzannes Blick; und die sich weitende Perspektive des Films richtet sich visuell und musikalisch auf einen Horizont und damit auf eine unausgesprochene Hoffnung.