Wow! Wer ist „weiß“, wer „schwarz“? Wer vorne im Rampenlicht? Wer (fast) unsichtbar im Hintergrund? Der Boss kniet nieder, Ike agierte wie ein Zuhälter, Sting richtet Scheinwerfer, David holt Luther für sein Soul-Album ins Studio, Mick kann sich nicht vorstellen, immer nur „Ahhh“ und „Uhhh“ zu singen – und Phil war immer schon ein Asi. Die Rock- und Popgeschichte ist reich an Fußnoten und Anekdoten, die noch darauf warten, erzählt zu werden. Erzählt uns von der Working Band des „Motown“-Labels! Sucht nach Sixto Rodriguez! Wir würden gerne noch einmal die Geschichte von James Taylor und Carole King erzählt bekommen! Oder die Geschichte der Girl Group „The Blossoms“, die Ende der 1950er Jahre begannen, mit dem Pfund zu wuchern, das sie in der Kirche gelernt hatten. Call & Response! Sie waren „Dancer“ und keine „Reader“ wie die weißen Konkurrentinnen. Das sollte in der Folgezeit noch wichtig werden, als die ganzen jungen Musiker aus England in die USA kamen, die ihren Sound gerne „dunkel“ färben wollten und eine große Liebe zu Blues und Soul verspürten. Call & Response!
Erzählt uns die Geschichten von einigen der bekanntesten unbekanntesten Background-Sängerinnen, die bei einigen der bekanntesten Hits dabei waren, den Songs den Stempel ihrer Stimmen aufdrückten. „What’d I Say“, „Gimme Shelter“. „Young Americans“. „Walk On The Wild Side“. Der Filmemacher Morgan Neville richtet abendfüllend einen Blick auf die Künstler, die auf der Bühne in der zweiten Reihe stehen. Manchmal durchaus mit Absicht, manchmal gezwungenermaßen, nie grundlos. Denn den Sprung ins Rampenlicht, den muss man wagen und wollen, der ist nicht ganz ungefährlich und nicht notwendig eine Frage des Talents. Das glaubt man Mick Jagger, Sting oder auch Bruce Springsteen ohne zu zögern.
„20 Feet from Stardom“, die „Oscar“-prämierte Hochglanz-Musikdokumentation holt die unglaublichsten Sängerinnen und Sänger vor die Kamera, von denen man »noch nie« gehört hat, um gleich darauf klarzustellen, dass dem natürlich nicht so ist. Denn die ausgewählten Sängerinnen (und Sänger wie Luther Vandross) wie Darlene Love, Merry Clayton, Lisa Fischer, Claudia Lennear oder Judith Hill sind sämtlich so prominent, dass sich mit ihnen eine mit viel exquisitem Footage-Material angereicherte »oral history« der Pop-Musik erzählen lässt, garniert mit allerlei Ehrbekundungen der (weißen) Jungs aus der ersten Reihe. Hier wird einiges an Material und an Thesen und Einfällen zusammengetragen, um einen leichtgewichtigen und unterhaltsamen und schwer nostalgischen Ausflug in die Pop-Geschichte zu unternehmen, die nach Möglichkeit nicht in den Ruch von Cultural Studies-Seriosität geraten soll. Weshalb etwas schmutzige Wäsche gewaschen wird (Stichworte: Phil Spector, Ike Turner, „Brown Sugar“), die allerdings nach Möglichkeit weder politisch noch gender-theoretisch aufgeladen werden soll.
Tatsächlich, so wird sich zeigen, haben alle Porträtierten irgendwann im Laufe ihrer langen Karrieren einmal versucht, sich als Solisten zu entwerfen – und sind aus unterschiedlichsten Gründen gescheitert. Und auch wieder nicht, denn immerhin fand sich in den Archiven hinreichend Material, um die Karrieren fast lückenlos zu rekonstruieren. Je schwärzer die Pop-Musik wurde, desto wichtiger wurden die Backgroundsänger für die weißen Pop-Stars. Merry Clayton veredelt „Gimme Shelter“ der Rolling Stones und ist auch – Ironie der Geschichte! – auf „Sweet Home Alabama“ von Lynyrd Skynyrd zu hören, Luther Vandross auf David Bowies „Young Americans“ und Judith Hill arbeitet auf Augenhöhe mit Michael Jackson. Und schließlich agieren die beiden Backgroundsängerinnen der Talking Heads gar nicht mehr im Hintergrund, sondern teilen sich mit David Byrne das Bühnenzentrum und die Aufmerksamkeit des Publikums.
Man ist Teil des internationalen Rock’n‘Roll-Jet Set – und auch wieder nicht. Claudia »Brown Sugar« Lennears Weg führt von den Ikettes zu den Stones und von den Stones zum „Playboy“; Lisa Fischer gewinnt einen „Grammy“ – und schafft trotzdem keinen Absprung in die Solo-Karriere. Darlene Love hört einen ihrer alten Hits irgendwann im Radio, als sie gerade als Putzhilfe arbeitet. Doch die Dokumentation ist eben durchdrungen von US-amerikanischer Ideologie, weshalb es hier immer um das Wieder-Aufstehen nach der Niederlage geht – und deshalb endet der Weg von Darlene Love natürlich konsequent in der Rock’n‘Roll Hall of Fame. Erfolg oder Misserfolg – „Life’s what you make it!“ Roll another one!
Ich hätte noch zwei Anekdoten im Köcher. Und unerhörtes Material im Archiv gefunden. Die Geschichte von Tina Turner und den Ikettes sparen wir uns lieber für den nächsten Film auf. Denn in Zukunft gehören die Backgroundsänger auf die rote Liste der bedrohten Arten: aktuelle Entwicklungen im Musik-Business (Castingshows; Autotune; Heimstudio) verheißen dem Job des Backgroundsängers ohnehin eine wenig glamouröse Zukunft. Wenn überhaupt.