Die Räume der Macht sind aus gemeißeltem Stein und kaltem Marmor, bestückt mit Gegenständen, in denen die Geschichte schwer und behäbig wohnt. Vor allem aber sind sie so weitläufig, dass man sich in ihnen verlieren kann, umgetrieben vom langen Nachhall der Schritte. Nicht anders ergeht es dem angeschlagenen italienischen Politiker Enrico Oliveri (Toni Servillo), Vorsitzender der linken Assembla Nazionale und Oppositionsführer im Parlament: Da die Umfragewerte seiner Partei ziemlich schlecht sind, macht man kurzerhand Oliveri als deren Verkörperung dafür verantwortlich. Bei einer Parteiversammlung wird er zudem von einer eingeschleusten Gegnerin wüst und medienwirksam beschimpft. Der stattliche, kultiviert und besonnen auftretende Mann wirkt innerlich leer und ausgebrannt. Tatsächlich schleppt er sich mit Antidepressiva durch seinen straff durchorganisierten Tag, stets begleitet von seinem umtriebigen Sekretär Andrea Bottini (Valerio Mastandrea). Doch eines späten Abends, seine Frau hält sich gerade in China auf, ist plötzlich Schluss: Oliveri zieht die Notbremse und taucht ohne weitere Angaben unter.
Was überraschend nachdenklich wie eine typische Aussteiger-Geschichte beginnt, entwickelt sich schon bald zu einer höchst geistreichen Politsatire über die Funktionsweisen politischer Macht. Der italienische Regisseur und Autor Roberto Andò, der mit seinem prominent besetzten Film „Viva la libertà“ einen eigenen Roman („Il trono vuoto“) adaptiert hat, implementiert dieser nämlich das Motiv des Doppelgängers, um etwas über das Wesen und die Krisen der Politik, vor allem aber über die Masken der Macht zu erzählen. Weil Politik die Realität erfindet, bewegt sie sich auf einem schmalen Grat zwischen Sein und Schein, Wahrheit und Lüge. So obliegt es Oliveris Zwillingsbruder Giovanni Ernani (Toni Servillo in einer ebenso subtilen wie nuancenreichen Doppelrolle), einem unlängst aus der Psychiatrie entlassenen Philosophieprofessor, der ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Die Illusion, zu leben“ geschrieben hat, „ein Klima der Veränderung“ (Andò) in die ebenso verkrustete wie darbende Politik zu tragen und dabei auf unkonventionelle Weise ihre Spielregeln neu zu definieren.
„Die Angst ist die Musik der Demokratie“, lautet einer jener erfrischend anders klingenden Sätze, mit denen der vermeintlich „verrückte“, wahlweise „gedopte“ Ernani das Establishment aufschreckt und das Wahlvolk aufhorchen lässt. Bald fliegen dem umjubelten Redner von allen Seiten die Sympathien zu, als erwachte das politische Italien aus einer Schockstarre; und die Umfragewerte für „seine Partei“ schnellen steil in die Höhe. Der Doppelgänger hat Erfolg, obwohl er Journalistenfragen mit Paradoxien kontert oder in die Aporie überführt und schließlich ganz offen bekundet, keine Lösungen für die anstehenden Probleme zu haben. Was derweil nur der Zuschauer als Komplize des Filmemachers weiß: Dass sich der verschwundene Oliveri bei seiner früheren Geliebten Danielle (Valeria Bruni Tedeschi) aufhält, die beim Film arbeitet. Deren Mann, ein renommierter Regisseur namens Mung (Eric Trung Nguyen), weist einmal auf die Ähnlichkeiten von Politik und Film hin: „Zwei Welten, in denen Bluff und Genie koexistieren.“
In einer durchgängigen, manchmal etwas zu eng und offensichtlich verfugten Parallelmontage inszeniert Roberto Andò diese Spiegelbildlichkeit schließlich auch als Aspekte ein und derselben Person. In vielen Details nähern sich so die Zwillingsbrüder einander an, ohne sich dabei zu begegnen oder auch nur miteinander zu sprechen; und in dieser Ähnlichkeit sind sie am Ende kaum noch zu unterscheiden. Souverän und mit leichter Hand entfaltet Andò die Widersprüche und Gemeinsamkeiten einer Identität als Potential zur Verwandlung. Dass daraus wiederum auch eine gesellschaftliche Transformation erwachsen könnte, bleibt aber wohl eher eine schöne, jedenfalls liebenswerte Utopie.