Ein Buddy-Movie der Ausnahmeart. Regisseur Benjamin Heisenberg, aus irgendwelchen Gründen irgendwann mal dem zugeordnet, was man „Berliner Schule“ nannte, hat, aha!, etwas gedreht, was man eine „Komödie“ nennen könnte. Dabei war Heisenberg auch schon als Berliner Schüler nie ganz koscher gewesen. Sein prima Langfilm-Erstling „Schläfer“ mit seinem Thema „Terrorismusverdacht“ war im Prinzip (allein schon, weil er so etwas wie ein „Thema“ besaß) etwas zu sozialkritisch und politisch konnotiert, um den gleichsam puristischen und sozusagen von politsozialen Begrifflichkeiten bereinigten „Berliner Schulfilmen“ subsummiert werden zu können und Heisenbergs Zweiter, der noch primarere „Der Räuber“ wiederum war dann zu „besonders“ bzw. zu wenig „alltäglich“ für die Berliner Schule, indem er eine Person mit starken „Alleinstellungsmerkmalen“ (Kollege, das Wortungetüm sei dir gewidmet!) zu seinem Helden machte, einen Mann, der sowohl Marathon laufen als auch Banken überfallen konnte, eine Figur mit viel gesellschaftsunkompatiblem Symbolpotential und dazu noch ein Österreicher. Was sucht ein Ösi in der Berliner Schule?
Vermutlich nun taugen diese Antibeispiele zur Berliner Schule weniger als Beleg, dass Heisenberg nicht zur „Schule“ passte, als im Gegenteil, dazu, nachzuweisen, dass es eigentlich in der Berliner Schule nie wirklich verbindliche Regeln oder Normen gab, denn ähnliche Abweichungen (wovon? von etwas Imaginiertem?) kann man auch bei quasi allen anderen Schul-Regisseuren entdecken. Mit anderen Worten, es gab sie eigentlich nicht wirklich, wenngleich sie in der Vorstellung existierte, diese komische „Schule“. Aber, remember: Ideen sind ja bekanntlich wirklicher als das Leben selbst.
Womit wir schon einen prima Übergang haben, denn in Heisenbergs offiziellem Konfessionsbruch mit besagter Bildungsanstalt jedenfalls geht’s eigentlich nur um Ideen von Fakten, um Varianten der Realität, die in diesem Fall als sowas wie hysterische Historie auftritt, als Parabel ad Parabellum. Und es geht gleich völlig anders los, als wir es von den Berlinern gewohnt sind, nämlich mit einem verschmitzt-geswingten Soundtrack, der einer gewitzten deutschen Fernsehunterhaltung, etwa mit einem zu gleichen Teilen super aufgelegten und schmerbäuchigem Fritz Wepper oder einer schlitzgeohrten aber grauenvertrauten Thekla Carola Wied in nichts nachstehen würde, nur noch besser ist. Und die Schiebermütze auf dem Haupt eines (seit „Hundstage“) der wenigen absoluten Lieblingsschauspieler des Kritikers, nämlich Georg Friedrich (immer noch ohne Händel! (Siehe dazu auch Michael Glawoggers 'Contact High!', der doch einiges besser macht, wenn es um Komödie geht)) verrät von Anfang an: Jetzt darf gelacht werden, und gedacht werden darf an den klassischen Gangsterfilm mit dem klassischen Gangster der amerikanischen sowie deutschen zwanziger Jahre, der ja auch ohne Schiebermütze niemals einer Missetat befähigt sei.
Puh! Vielleicht braucht es ja noch ein bisschen, bis auch die (ehemalige) Berliner Schule kapiert, dass ein Stück Kino, welches sich ernsthaft auf Welthaltigkeit einlässt, nicht nur nicht auf Humor verzichten darf, sondern notwendig auf diesen angewiesen ist, wie quasi jedes Kino, und einer der ernsthaftesten Berliner Lehrer, nämlich Lars von Trier, hat das doch schon seit 30 Jahren mit seinem realitätsgetränktem Fake schön vorgemacht. Will meinen: Der Teufel des Witzes steckt natürlich im Detail der realiteren Gosse.
Nun aber, das vermittelt „Über-Ich und Du“, nicht nur darf, sondern soll gelacht werden. Der Filmbeginn ist quasi so ein kumpeliger Rippenstoß. Motto: Komm, werd mal locker, lass dich doch mal drauf ein! So was führt bei mir jedenfalls automatisch zur Verkrampfung (hingegen entspanne ich immer total, wenn es recht aussichtslos anfängt). Und dann das Wunder. Trotz Verspannung lache ich auf einmal. Ich glaube, das ist, was der Profi Understatement nennt. Der Autorenfilmer weiß, welche Klischees er bedient und unterläuft sie. Die krasse Maria Hofstätter als „Mutter“ (der andere Star aus „Hundstage“) ist ja schon mal `ne Bombe. Aber das Komischste ist André Wilms, ein inzwischen älterer Aki-Kaurismäki-Held (schon gern gesehen gewesen in „Das Leben der Bohéme“ sowie in dem Meisterwerk „Le Havre“). Hier spielt er zum Teil das was er ist, nämlich einen bilingualen Mann aus Strasbourg, Elsass, mit 65 Jahren womöglich in seiner ersten deutschsprachigen Rolle. Zudem ist er Professor, und, soweit man das versteht (man versteht nicht immer alles in diesem Film, was ein eindeutiger Vorteil ist), ein berühmter deutscher Psychoanalytiker, der, und das kommt noch lustigerweise dazu, irgendwann mal in Jugendzeiten von Goebbels lobend erwähnt wurde und dadurch einen Lehrstuhl im 3. Reich ergattern konnte (wie das überhaupt rein biologisch und rechnerisch gehen soll, falls der Film wirklich in den 2010er Jahren angesiedelt sein sollte, spielt sicherlich auch keine Rolle!). Das Komischste an André Wilms ist aber wiederum, dass er den ganzen Film lang sich nur mit diesen Nordic Walking-Stöcken durchs Bild bewegen kann, und sei es nur vom Sofa bis zum Stuhl. Coole Idee das, statt Gehhilfe namens „Rollator“. Auch kann er nicht in die Küche, weil er da eine tiefenpsychologische Sperre besitzt. Diese Sperre hat dann später auch Georg Friedrich, und hier geht’s um Psycho-Übertragung. Und unter anderem ist auch das sicherlich und vermutlich Thema von „Über Ich und Du“ (Übrigens auch von Glawoggers „Contact High!“). Doch wer weiß das schon im Detail bzw. wer will‘s wissen?
Schnell begreift der gebildete (Film-)Leser, dass man sicherlich hier nicht immer alles Eins zu Eins zu übersetzen hat, sondern dass wir uns hier durchaus in einer Sphäre der (oben bereits erwähnten) Ideen und Gedankenspielereien befinden. Spätestens dann versteht man auch den Puff in die Rippe: Hey Alter, Lehn dich an! Ich beliebe zu scherzen! Und ich beliebe gar auch über den Scherz zu scherzen, und über psychoanalytische Überväter und Koryphäen und über Zwangsbücherdiebe aus einem Minderwertigkeitstrieb und über Zwecklügen nach der Nazizeit und Ödipus und Ikarus und über die Alpen – die später in „Über Ich und Du“ eine wunderbare Kulisse bilden, worauf dann gegen Ende gar noch sowas wie der zurzeit offenbar unvermeidliche Alpen-Italo-Western Platz nimmt, in Gestalt eines eingebuddelten äh: Halses. Doch sehen Sie selbst. Oder auch nicht.
Nach Haus geht der Interessent beeindruckt und mit dem Gefühl, partizipieren gekonnt (quasi über einen Gartenzaun geguckt zu haben in so was ganz Intim-Verschwiemeltes) zu haben an jener ziemlich eigenen Vorstellungswelt eines ziemlich interessanten Regisseurs, einer Geschichte von zwo ziemlich schrägsten Vögeln, einer Familien-Hysterie, einer Auto-Therapie, von der man nun weiß, dass sie da sein muss, ohne komplett zu wissen, was sie bedeutet, was ja auch manchmal sein Gutes hat. Hauptsache nämlich, der Regisseur weiß es und lacht sich immer noch ins Fäustchen, während des Interessenten Interesse langsam versickerte, aber das schien ja auch für den Regisseur egal.
Lieber Herr Heisenberg, machste nächstes Mal wieder was relativ weniger Unschärferes? Entschuldige, aber diesen großväterlichen (Werner Heisenberg, der z.T. mit den Nazis sich arrangierende, z.T. sich Ihnen verweigernde berühmte Physiker, war echt der Opa vom Filmemacher!) Witz konnte ich mir nun meinerseits nicht verkneifen. Wie nennt man das nun, Benjamin: Großvaterkomplex? Oder: Opa und Bubi gehen scheißen??