Callgirl trifft alternden Intellektuellen in dessen Wohnung. Der neue Film „Like Someone in Love“ von Abbas Kiarostami setzt ein Klischee an den erzählerischen Anfang: Eine desillusionierte junge Frau verdingt sich und ihren Körper zwischen blinkenden Werbeflächen und Hochhausfassaden der Großstadt. Doch was der 72-jährige Iraner Kiarostami daraus entwickelt, ist beeindruckend: eine sanft erzählte Geschichte über die Möglichkeit der Annäherung.
Der Film beginnt inmitten einer recht absurden Szene: Die junge Akiko arbeitet als Hostess/Callgirl und wird von ihrem Boss, Typ Geschäftsmann mit der nötigen Mischung aus Autorität und Verständnis, in einer Bar dazu „überredet“, am gleichen Abend einen wichtigen Kunden aufzusuchen, obwohl sie, wie sie sagt, Prüfungen hat. Akikos Freund Noriaki weiß davon nichts und geht von einem gewöhnlichen Treffen mit einer Freundin aus.
Im Taxi auf dem Weg zum Kunden erfahren wir über eine Stimme auf einer Mailbox, dass sich für den gleichen Tag Akikos Großmutter aus der Provinz angekündigt hatte und bis zum Abend auf Akiko gewartet hat. Um die Großmutter wenigstens kurz und unbeobachtet aus der Ferne zu erspähen, lässt Akiko das Taxi zweimal um den Platz herumfahren, auf dem ihre Großmutter mit ihrer Hoffnung, die Enkelin zu sehen, alleine steht. Und hier wird das Netz aus Lügen und Abhängigkeiten, das die junge Frau davon abhält, einfach auszusteigen und ihre Familie zu sehen, so weit aufgespannt, dass man sich unweigerlich die Frage stellt: Wie hat sich Akiko da bloß hineinmanövriert? Und hat sie sich freiwillig in dieses Netz gelegt? Die Antworten, so wird dem Zuschauer bewusst, spielen dabei aber keine große Rolle.
Nach dieser wunderbaren Einleitung trifft Akiko den um viele Jahre älteren Mann und Kunden Takashi, einen Schriftsteller und Übersetzer. In dessen Wohnung, in der Bücher in hohen Regalen bis an die Decke wuchern, spielt sich die nächste, bizarr anmutende Szene ab: Takashi kümmert sich großväterlich um die erschöpfte Frau, sanft und zurückhaltend, sogar das Weinglas fasst er mit einer solchen Vorsicht an, als habe er Angst, das Glas könnte zwischen seinen Fingern plötzlich zerspringen.
Die junge Frau und der ehemalige Professor unterhalten, amüsieren sich und als sich Akiko müde ins Bett legt, setzt sich Takashi mit einem Stuhl an ihre Seite. Allein diese Szene verdichtet die milde und faszinierende Erzählweise des Regisseurs und zeigt, worauf es ihm ankommt: Er führt Menschen per Zufall zusammen, verwickelt sie in beiläufige Gespräche und lässt aus diesen Kreuzwegen unvorhergesehene, gleichsam zarte wie bedeutende Blüten zwischenmenschlicher Annäherung entstehen. In einer minimalistischen Inszenierung und in ruhigen, langen Einstellungen spürt er diesen Blüten nach, immer in der Angst, ein Zuviel an Drama, ein Zuviel Bewegung könnte die Blume kaputt treten.
Der eifersüchtige Freund und Verlobte Noriaki kommt wieder ins Spiel und hält Takashi für den Großvater. Nun wird die Erzählung etwas angespannter, mühevoller, der Bringschuld des Dramas verhaftet, obgleich der Erzählstil weiterhin ruhig und geerdet bleibt. Und welchen Wegen für Verständigung, Konflikt und Kompromiss Kiarostami in Folge dessen nachgeht, überzeugt erzählerisch dann leider weniger, ist frei von Subtilität und zerstreut sich schlussendlich in eine doch recht schale Ansammlung von Motiven und Emotionen, im Zaum gehalten von technisch einwandfreien und filmisch anspruchsvollen Bildern.
„Like Someone in Love“ spielt nicht nur in Tokyo, sondern wurde mit japanischen Schauspielern in japanischer Sprache realisiert. Natürlich stellt man sich die Frage, wie man als Regisseur ein Gefühl sowohl für die Umsetzung der eigenen Geschichte als auch für die Schauspieler und deren Spiel bekommt, wenn man sich jedes Wort und zahlreiche kulturelle Codes übersetzen lassen muss. Aber genau darin liegt wohl der Sinn dieser Unternehmung: Der Regisseur ist auf der Suche nach Konstanten. Nach der Universalgrammatik, die unsere zwischenmenschlichen Beziehungen kontextübergreifend bestimmt – kurz: nach allgemeinen, menschlichen Gefühlen. Zwar wird er auch in diesem, letztlich etwas künstlich wirkenden Feld fündig, doch setzt der Filmemacher leider zu oft voraus, was er eigentlich erkunden möchte.
„Like Someone in Love“ hat dabei nicht nur anekdotische Parallelen zu dem gleichnamigen Musikstück, einem mehrfach interpretierten Jazzstück aus den 1940ern, das auch im Film – in der Wohnung von Takashi – zu hören ist. Es ist eine ruhige, verträumte, aber auch traurige Musik. Dabei macht nicht die Musik an sich traurig, sondern ein bestimmtes Verlust-Gefühl. Ein Gefühl, mit dem das im Moment der Musik Erlebte, in imaginärer Schönheit Aufkeimende in Beziehung gesetzt wird zur harten Wirklichkeit. Dieser Moment lässt den unüberwindbaren Unterschied zwischen Vorstellung und Realität bewusst werden. Das stimmt melancholisch. Das schafft Musik, und manche Momente in „Like Someone in Love“.