Djeca – Kinder von Sarajevo

(BA / D / F / TR 2012; Regie: Aida Begic)

Im Wertevakuum

Rahima (Marija Pikic) ist eine junge bosnische Muslimin und Kriegswaise im heutigen Sarajevo, die für sich und ihren jüngeren Bruder Nedim (Ismir Gagula) um ein Auskommen kämpft. In der Küche des Restaurants, wo sie oft in Doppelschicht arbeitet, herrscht ein rauer, zynischer Umgangston, den sie resolut und mit bitterer Ironie kontert. Weil Rahima selbstbewusst ein Kopftuch trägt, ist sie immer wieder Spott und Anfeindungen ausgesetzt. Doch das äußere Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit ist auch Ausdruck von Distanz und Widerstand gegenüber einer zerrütteten Nachkriegsgesellschaft, die ihre Werte verloren hat und die von korrupten Politikern dominiert wird. Einmal, in den Fernsehnachrichten, ist im Zusammenhang mit der allgemeinen Wirtschaftskrise von hoher Arbeitslosigkeit, ungezügelter Privatisierung und Kriminalität die Rede.

Die 1976 geborene bosnische Regisseurin Aida Begic zeigt in ihrem Film „Djeca – Kinder von Sarajevo“ ein ungeschöntes Bild dieser gesellschaftlichen Perspektivlosigkeit. Sie spiegelt sie vor allem an Nedim, einem renitenten, gleichgültigen Jugendlichen, der die Schule schwänzt, seine Zeit mit Computerspielen verbringt, in Schlägereien verwickelt ist und auf kriminelle Abwege gerät. Den Haushaltsaufgaben entzieht er sich mit gelassener Macho-Attitüde, während sich die verantwortungsvolle Rahima auffallend geduldig und nachsichtig um alles kümmert. Die junge Frau hilft, wo sie kann, und erfährt dabei von allen Seiten Druck.

Aida Begic filmt diesen inneren und äußeren Druck mit atemloser Anspannung und großer Intimität. In langen dynamischen Plansequenzen folgt die Handkamera von Erol Zubcevic – ähnlich wie in den Filmen der Brüder Dardenne – der gehetzten Protagonistin. Dadurch entsteht eine starke Nähe, in der sich die klaustrophobischen, nahezu ausweglosen Verhältnisse mitunter auf den Zuschauer übertragen. Begic; beobachtet und begleitet das unruhige Leben ihrer Heldin aus einer minimalen Distanz. Dazwischen schneidet sie immer wieder kurze, hektische Doku-Szenen aus der Kriegszeit, die weiterhin nachwirkt. Bezeichnenderweise klingt die Tonspur in ihrer Mischung aus digitalem Störfeuer, den Detonationen von Neujahrsböllern und den Bohrgeräuschen von Renovierungsarbeiten wie eine akustische Fortsetzung dieses Terrors – gerahmt und abgemildert allein durch Beethovens 6. Sinfonie, die sogenannte „Pastorale“.

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Djeca – Kinder von Sarajevo
(Djeca)
Bosnien-Herzegowina / Deutschland / Frankreich / Türkei 2012 - 90 min.
Regie: Aida Begic - Drehbuch: Aida Begic - Produktion: Aida Begic - Bildgestaltung: Erol Zubcevic - Montage: Miralem Zubcevic - Verleih: barnsteiner-film - FSK: ab 6 Jahren - Besetzung: Marija Pikic, Ismir Gagula, Bojan Navojec, Sanela Pepeljak, Vedran Djekic, Mario Knezovic, Jasna Beri, Nikola Djuricko, Stasa Dukic, Aleksandar Seksan, Velibor Topic, Ravijojla Jovancic
Kinostart (D): 07.11.2013

DVD-Starttermin (D): 22.08.2014

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2123230/