Die verwitwete Hye-ja (Kim Hye-ja) verdient mit Kräuterhandel und illegalen Akupunktursitzungen ihren Lebensunterhalt. Eines Abends kehrt ihr geistig behinderter Sohn Do-jun (Won Bin) betrunken und verwirrt nach Hause zurück. Am nächsten Morgen wird die Leiche einer Minderjährigen gefunden. Für die Provinzpolizei steht schnell fest, dass der naive Sonderling der Täter ist. Als Hye-ja erkennt, dass sie von Polizei und Justiz keine Hilfe zu erwarten hat, nimmt sie ihre eigenen Ermittlungen auf. Mit unabsehbaren Folgen.
In kalten, blaugrauen Farbtönen erzählt der südkoreanische Erfolgsregisseur Bong Joon-Ho („The Host“ / „Gwoemul“; 2006) einen düsteren Thriller aus dem gegenwärtigen Südkorea. Die Suche nach dem Frauenmörder bildet den Ausgangspunkt für ein virtuos inszeniertes Vexierspiel über Wahrheit, Schuld und Sühne. Dabei vermischt Bong scheinbar unvereinbare Genres, pendelt zwischen Psychothriller à la Hitchcock, sozialrealistischem Melodram, klassischem Whodunit, schwarzem Humor und griechischer Tragödie.
Neben der innovativen Verschränkung von Genreelementen überrascht „Mother“ durch unerwartete Plottwists, irritierende Stilbrüche und eine barocke Bildsprache, die den Werken von Regiekollegen wie Park Chan-wook („Oldboy“ / „Oldeuboi“; 2003) und Na Hong-jin („The Chaser“ / „Chugyeogja“; 2008) in nichts nachstehen. Da wird trotz des ernsten Rahmens eine Schlägerei als Slapstickeinlage inszeniert oder ein Rechtsanwalt trägt der verzweifelten Mutter in einer Karaokebar singend das Angebot der Staatsanwaltschaft vor. Zunehmend gehen Vergangenheit und Gegenwart, Erinnerung, Traum und Phantasie ineinander über. In einer Hommage an Ingmar Bergmans „Wilde Erdbeeren“ („Smultronstället“; 1957) vermischen sich verschiedene Zeitebenen innerhalb einzelner Einstellungen. Am Schluss steht eine surreale Volte, deren Interpretation dem Publikum überlassen bleibt.
„Mother“ ist, ähnlich wie Bongs thematisch verwandter „Memories of Murder“ („Salinui chueok“; 2003), weit mehr als ein meisterhaft erzähltes Kriminalstück. Mit seinem jüngsten Film entwirft der Regisseur ein ernüchterndes Komplementärbild zu dem parabelhaften Vorgänger, der in den 1980er Jahren, der Ära der Militärdiktatur, angesiedelt war. Selbst heute, im demokratisch-kapitalistischen Südkorea foltert die Polizei, Gerechtigkeit scheint unerreichbar, Egoismus und Konsumismus grassieren. Einzig die aufopferungsvolle Mutter und ihr einfältiger Sohn scheinen in dieser emotional vergletscherten Welt unschuldig. Doch auch dies erweist sich als Illusion.
Trotz aller postmodernen Verspieltheit gelingt es Bong zusammen mit seinen exzellenten Schauspielern, psychologisch glaubhafte Figuren zu entwerfen. Allen voran beeindruckt die in Korea populäre Volksschauspielerin Kim Hye-ja als zugleich sanfte wie unerbittliche Mutter. Der höchst sehenswerte Film wurde dafür auf einer Vielzahl von nationalen und internationalen Filmfestivals ausgezeichnet.
Diese Kritik ist zuerst erschienen auf www.br.de