Einsam und in sich gekehrt, gewissenhaft und schweigsam versieht der Fahrdienstleiter Alois Nebel (Miroslav Krobot) seinen Dienst an dem fiktiven kleinen Bahnhof in Bílý Potok, einem abgelegenen Ort an der tschechoslowakisch-polnischen Grenze. Hier im Altvatergebirge treibt ein rauer Herbstwind die Blätter vor sich her, immer wieder prasselt ein fast sintflutartiger Regen in die Landschaft und aus den dunklen Wäldern bewegen sich die Lichtkegel der Züge auf den Bahnhof zu. Tomáš Luňáks Animationsfilm „Alois Nebel“, eine im Rotoskopie-Verfahren realisierte Adaption einer populären tschechischen Comic-Trilogie, etabliert von Anfang an eine düstere, melancholische Film Noir-Stimmung, die noch verstärkt wird durch harte, expressive Schwarzweiß-Kontraste. In einem lakonischen, leisen Tonfall inszeniert der tschechische Debütant Bilder der Verlassenheit und der schweren, schmerzlichen Erinnerung.
Monoton rekapituliert eine Stimme aus dem Off die poetisch klingenden Namen der Zielorte und Abfahrtszeiten der Züge. Die Lektüre alter Fahrpläne entspanne ihn, sagt der Titelheld, der außer seinem Kater niemanden hat. Doch manchmal erschüttern grelle Lichtblitze die Bilder und konfrontieren den Protagonisten des Jahres 1989 mit einem Kindheitstrauma: Im Juni 1945 erlebt der kleine Alois die Vertreibung der Sudetendeutschen, er sieht, wie auf dem Bahnsteig ein Mann erschossen wird und der Mörder die junge Frau des Getöteten misshandelt.
Im Umbruchjahr der „neuen Zeit“ kehren die dunklen Schatten der Vergangenheit zurück. „Manchmal überkommt mich ein Nebel“, sagt der zunehmend depressiver werdende Alois, der bald in einer psychiatrischen Anstalt landet, die einem Foltergefängnis ähnlich ist, und der nach seiner Entlassung die Arbeit verliert. Alois begegnet aber auch einem stummen Mann (Karel Roden), der sich an dem Täter von einst rächen will, und einer verwitweten Frau namens Květa (Marie Ludvíková), zu der er Zuneigung und Vertrauen fasst. Indem Tomáš Luňák von dramatischen Einzelschicksalen erzählt, wendet er sich zugleich mit sanftem Nachdruck gegen das kollektive Vergessen. Die deutschsprachigen Namen der Bahnhöfe werden dabei zu stummen Zeugen der Geschichte, während die Züge einmal mehr menschliches Leid metaphorisieren.