Genrekino made in Austria: Nach Andreas Prochaskas Slasherfilm-Duo „In 3 Tagen bist du tot 1 & 2“ (2006 / 2008) und eine Woche vor Prochaskas Ganghofer-meets-Corbucci-Alpenwestern „Das finstere Tal“ kommt mit Marvin Krens „Blutgletscher“ ein weiterer Versuch in die Kinos, Genretraditionen und Formeln wiederzubeleben, die einst im wilden europäischen Koproduktionskino der 1960er und 70er Jahre florierten, aber heute weitgehend ausgestorben sind. Das unmittelbare Vorbild für den mit „Blutgletscher“ angemessen trashig betitelten Horrorfilm von „Rammbock“-Regisseur Marvin Kren ist jedoch unverkennbar amerikanischen Ursprungs: John Carpenters „The Thing“ („Das Ding aus einer anderen Welt“; 1982), der als Remake des Christian Nyby/Howard Hawks-Klassikers von 1951 Kammerspiel und Paranoiathriller, Horrorfilm und Western zu einem der effektivsten Genrestücke der frühen 1980er Jahre fusionierte.
Der Plot von „Blutgletscher“ klingt entsprechend vertraut: Auf einer abgelegenen Klimaforschungsstation in den Alpen schlagen drei Wissenschaftler sowie der alkoholkranke Techniker Janek (Gerhard Liebmann) sich die Zeit tot. Bevor die zusammengewürfelte Truppe einen Hüttenkoller erleidet, wird ein blutroter Gletscher entdeckt, dessen Tauwasser Spontanmutationen bei Mensch und Tier bewirkt. Bald muss sich die Gruppe gegen tödliche Bremsen und allerlei Mischwesen wie Fuchsasseln oder Käfersteinböcke erwehren, die den legendären Wolpertinger alt aussehen lassen. Weiteres Kanonenfutter stößt zu ihnen, als die grantige Ministerin Bodicek (Brigitte Kren – die Mutter des Regisseurs) und Janeks Exfreundin Tanja (Edita Malovcic) nebst Begleitung an der Station ankommen.
Wie kaum anders zu erwarten, bedient sich „Blutgletscher“ nonchalant der Bausteine verschiedener Genres, speziell des Bergfilms und des Body Horror und ist folglich selbst eine veritable Mutation. Die damit verbundenen Referenzsysteme, die der Film kombinieren will, sind jedoch nur schwer vereinbar. Carpenters Sci-Fi-Horror-Western griff seinerzeit immerhin auf Genres zurück, die zur gleichen Zeit im US-Kino der 1950er Jahre reüssierten und mit der Paranoia des Kalten Krieges eine gemeinsame ideologische Basis besaßen. Den deutschen Bergfilm, der seine Blüte in den 1920er Jahren erlebte, verbindet jedoch nichts mit dem Körperhorror, der seine Hochphase im nordamerikanischen Kino Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre hatte: mit dem Frühwerk von David Cronenberg von „Shivers“ („Parasitenmörder“; 1975) bis zum Mainstream-Erfolg „The Fly“ („Die Fliege“; 1986), Ridley Scotts „Alien“ (1979) sowie Stuart Gordons „Re-Animator“ (1985) und „From Beyond“ (1986). Der Bergfilm war wie sein später Erbe, der deutsch-österreichische Heimatfilm, die Apotheose des Statuarischen, die Feier angeblich ewiger Naturgesetze und der Unterwerfung des Individuums unter ein höheres Ziel. Den Körperhorrorfilmen der 70er/80er Jahre dagegen ging es gerade darum, verlässliche Fixpunkte wie Körper-, Genre-, und Gendergrenzen aufzulösen – und das meist buchstäblich in Schleim, Verwachsungen und Mutationen. Als Kombination von Bergfilm und Körperhorror kann „Blutgletscher“ die willkürliche Fusion völlig disparater Konzepte nie völlig transzendieren, und so wechselt der Horrorfilm, der mit einer vorangestellten ökologisch korrekten Botschaft beginnt (der Klimawandel, Sie wissen schon …) spätestens mit der Ankunft der zweiten Besuchergruppe auf der Todesalp zur Parodie.
Das ist schade, da doch in den letzten Jahren einige europäische Länder – allen voran Frankreich und Spanien – mit ernst gemeinten, meist auch ziemlich blutigen Horrorfilmen und Genrestücken reüssieren konnten. Die parodistische Ausrichtung und die absichtsvollen Anleihen am Trash-Kino, die viele deutschsprachige Genrefilme so oft auszeichnen, wirken demgegenüber, als ob man sich von seinem eigentlichen Gegenstand distanzieren will: Bitte entschuldigen Sie, war nicht ernst gemeint, ist alles Ironie, wir sind schließlich noch jung! Ausnahmen, etwa die ruppige „Texas Chainsaw Massacre“-Variante „Urban Explorer“ (2011; Andy Fetscher), Krens eigener „Rammbock“ (2011) oder der grimmige Alpenwestern „Das finstere Tal“ (den ich an dieser Stelle noch nicht in den höchsten Tönen loben darf, da der Verleih vor der Berlinale-Premiere eine Sperrfrist für Kritiken verhängt hat) blieben bisher eben genau das: Ausnahmen.
Das ist doppelt schade, da „Blutgletscher“, trotz kleinerer Mankos wie eher drolligen Spezialeffekten und einigen arg sperrigen Dialogen, ein durchaus unterhaltsamer und professionell realisierter Film geworden ist. Allein das imposante Alpensetting, die hervorragend kadrierten CinemaScope-Bilder von Kameramann Moritz Schultheiß und die überraschend guten Schauspieler heben Marvin Krens mit österreichischer Filmförderung entstandenen „Blutgletscher“ weit über den Durchschnitt des B-Films. Auch wenn „Blutgletscher“ näher an der Parodie als am ernstgemeinten Horrorfilm angesiedelt ist: ein Schritt in die richtige Richtung ist das allemal.