Basierend, klar, auf einer wahren Geschichte, aber, na ja, erzählt aus der schillernden Ich-Perspektive eines egomanen Drug-Addict, der sich bei seinen etwas einseitig dargestellten Âventiuren beständig selbst auf die Schulter klopft. „Bonfire of Vanities“ lautete dafür schon einmal, Mitte der 1980er Jahre, ein treffender, aber (noch) moralisierender Slogan. Eitelkeiten, okay, aber immerhin noch nicht ohne Fegefeuer. Mit großen Ohren sitzt der junge Broker Jordan Belfort eines Mittags seinem Mentor Mark Hanna gegenüber, unter ihm die Stadt, in der er es zu etwas bringen möchte.
Hanna weiht ihn in die Ethik der Börse ein, die darum kreist, das virtuell gewordene Geld der Kunden nach Möglichkeit ganz prosaisch in die eigenen Taschen umzuleiten und deren Schmiermittel eine gesunde Mischung aus Koks, Sex und Onanie seien. Belforts Karriere an der Wall Street ist dann allerdings so schnell vorbei, wie sie begonnen hat, aber der wichsende Charismatiker gibt nach dem schmerzhaften „Black Monday“ 1987 das Stehauf-Alpha-Männchen, indem er sich vor den Toren der Stadt mit seiner Professionalität auf den schäbigen Penny Stock-Markt begibt, wo die Dividenden hoch und die Regularien verschwindend sind.
Gemeinsam mit einer Handvoll verschworener Mit-Wichser gründet er „Stratton Oakmont“ und erlebt einen rasanten Aufstieg an der Börse, der ihn selbst wohl sprachlos machen würde, könnte er sich nur genau daran erinnern. Die frühe Begegnung zwischen Belfort und Hanna gibt den Tonfall vor, den Martin Scorsese für seinen neuen Film gewählt hat: er versieht den Share-Holder-Kapitalismus mit der Fratze des Grotesken und Furios-Absurden und verzichtet für den geilen Flow der Geschichte auf die wohlfeile Absicherung durch »die Moral von der Geschicht‘«. Gier und Geilheit schreiben sich in die Gesichter der Protagonisten ein, deren Rap unmissverständlich triebhaft und vulgär ist. Im Netz kursierte vor ein paar Tagen ein Mash-up von „The Wolf of Wall Street“, der die 552 „Fucks“ auf der Tonspur dieser Dirty-Screwball-Comedy dokumentierte, die Scorseses Film komplett ins neureiche Macho-Absurde katapultieren.
Wir erinnern uns sehr gut an das Finale von „Casino“, dem Scorsese-Film, der als Prequel zu „The Wolf of Wall Street“ fungieren könnte. Dort enden „the good old days“ damit, dass die alten Casinos gesprengt werden und die Konzerne auf den Trümmern ein „Disneyland Vegas“ errichten. Zu den Klängen der „Matthäus Passion“ sehen wir Menschen in billiger Freizeitkleidung die Eingänge stürmen: „Nachdem sie die Teamster ausgebootet hatten, rissen die Konzerne fast alle alten Casinos ab. Und woher kam das Geld für den Neubau der Pyramiden? Aus krummen Börsengeschäften!“, klagt Robert DeNiro traurig knurrend aus dem Off.
Derlei zu Kulturkritik neigende Nostalgie sucht man in „The Wolf of Wall Street“ nunmehr vergebens, denn der neue Film präsentiert wenig mehr als eine Folge von Exzessen – bis zu einem Punkt, an dem diese dann doch zu langweilen beginnen. Oder auf den Magen schlagen. Was damit zu tun haben könnte, dass die Figuren so unsympathisch, flach und eindimensional sind. Was damit zu tun haben könnte, dass Belfort ein vergleichbar charismatischer Gegenspieler fehlt.
Zwar setzt sich irgendwann einmal ein blasser, aber unbestechlicher FBI-Mann auf Belforts Fährte und beginnt mit großer Unnachgiebigkeit eine Schlinge zu knüpfen, aber selbst wenn dieser Film auf abstrakter Ebene noch immer von »Aufstieg und Fall« handelt, so ist der Aufstieg steil, während der Fall doch eher sehr sanft abgefedert erscheint. Wenn dieser FBI-Mann irgendwann nach getaner Arbeit völlig unglamourös mit der U-Bahn nach Hause fährt, erkennt man etwas überrascht, dass neben der Belfort-Welt noch eine andere Welt existiert: die »normale« Welt. „Aber wer will schon in der normalen Welt leben?“, hatte Belfort zuvor einmal gehöhnt, als es um verallgemeinerbare Wertmaßstäbe ging.
Erstaunlicherweise wurde Scorseses Film in den USA Indifferenz gegenüber dem, was er zeige, vorgeworfen, so, als müsse man dem Zuschauer, der dem Geschehen fassungslos zuschaut, der Zeuge wird, wie Belfort und sein bester Kumpel Donny von der Wirkung vermeintlich wirkungsloser Drogen zu grunzenden Comic-Figuren gemacht werden, deren Realitätsverlust mehr als nur schmerzhaft ist, auch noch erklären, was er durchlitten hat.
Nach drei Stunden audio-visuellen Dauerfeuers verlässt man erschöpft den Kinosaal, unsicher, ob man was von Bedeutung gesehen hat, aber gleichzeitig schwärmend von den wahrlich rückhaltlosen Darstellerleistungen von Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Matthew McConaughey oder Jean Dujardin, von der fließenden, stets sensationsgeilen Kamera Rodrigo Prietos, vom Drive der Montage, von der Sprache, vom Soundtrack. So viel große Kunst für nichts und Kunstgewerbe verbrennen – ist das zynisch? Abgefuckt? Oder subversiv? Ist das überhaupt noch von Interesse?