Ziemlich paradiesisch mutet der Küstenort Seal Rocks in New South Wales im Osten Australiens an: Weite Sandstrände, türkisblaues Wasser, großartige Wellen und eine freundlich scheinende Sonne sorgen für traumhafte Lebens- und Arbeitsbedingungen, vor allem aber für einen Zustand der Entrückung. Die französische Filmregisseurin Anne Fontaine hat für dessen schwelgerische Beschwörung in ihrem neuen Film „Tage am Strand“ (Adore) noch einmal auf 35 mm und in Cinemascope gedreht. Der Blick zum Horizont und auf diese märchenhafte, fast unwirklich erscheinende Kulisse richtet sich deshalb nicht selten von einem Haus hoch oben über dem Meer auf die Szenerie. Hier leben seit vielen Jahren Lil (Naomi Watts) und die Galeristin Roz (Robin Wright). Die beiden gutaussehenden Mitvierzigerinnen sind „beste Freundinnen“ und ihre erwachsenen Söhne Ian (Xavier Samuel) und Tom (James Frecheville) fast wie Geschwister.
Wenn die beiden Adonisse eingangs mit ihren Surfbrettern über gigantische Wellen gleiten, geschieht dies unter den bewundernden Blicken ihrer Mütter. Sie seien wie „junge Götter“ konstatieren die Frauen in einer Mischung aus nostalgischer Sehnsucht und inzestuösem Begehren. Bald darauf entsteht eine ungewöhnliche Vierecksgeschichte, in der Roz und Ian, Lil und Tom eine Liebebeziehung eingehen. Das wirkt arg konstruiert, wenig entwickelt und in der Gefühlsintensität der beiden Paare ungleich verteilt. Anne Fontaine inszeniert diese Grenzverletzung, die mehr gewollt als motiviert erscheint, als schwülstige Frauenphantasie über ein ebenso unverhofftes wie „schreckliches Glück“. Dieses kann natürlich nicht von Dauer sein, auch wenn das Setting Zeitlosigkeit suggeriert.
Anne Fontaine hat für ihren Film „Tage am Strand“ die Erzählung „Die Großmütter“ der kürzlich verstorbenen Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing adaptiert, die in ihrer Geschichte wiederum reale Begebenheiten verarbeitet hat. Fontaines Faszination für Entsprechungen und Symmetrie lässt in Aufbau und Dialog allerdings vieles hölzern erscheinen. Die Charaktere, in den Nebenrollen zur puren Staffage degradiert, bleiben flach und klischeehaft, vor allem aber geheimnislos, denn die beabsichtigte Offenheit verliert sich immer wieder im allzu Offensichtlichen. Doch das Sichtbare ist in „Tage am Strand“ nur eine schöne Kulisse für ein Leben, das unterbelichtet bleibt, und für Gefühle, die nur behauptet werden.