Ihre Sommerferien verbringt Isabelle (Marine Vacth) gemeinsam mit ihren Eltern, ihrem jüngeren Bruder und einer befreundeten Familie am Meer. Sie wird in diesen Ferien nicht nur ihren 17. Geburtstag feiern, sondern auch zum ersten Mal mit einem Jungen schlafen. Felix aus Deutschland ist nett und gibt sich Mühe, aber Isabelle schaut sich buchstäblich selbst beim Sex zu.
Als ihre Familie ihr kurz darauf mit Kuchen und Kerzen zum Geburtstag gratuliert, ist sie vor Rührung den Tränen nahe, aber für Felix ist der Zug da schon längst abgefahren. Ein paar Wochen später – der Film ist episodisch durch die vier Jahreszeiten strukturiert – begegnen wir Isabelle, wie sie sich in einem eleganten Hotelzimmer prostituiert. Sie arbeitet ohne Zuhälter, findet unter dem Pseudonym Lea ihre Kunden via Internet, verlangt 300 € pro Date und agiert zunehmend selbstsicherer. Ihre Ersparnisse sind schon ziemlich angewachsen, als die Sache durch einen tragischen Zufall auffliegt. Eines Tages steht die Polizei bei Isabelles Eltern vor der Tür, mit kompromittierenden Fotos und allerlei Fragen. Insbesondere Mutter Sylvie fällt aus allen Wolken, während Stiefvater Patrick die ganze Sache nicht überdramatisieren will. Bruder Victor würde sich, selbst gerade pubertierend, für ein paar pikante Details interessieren, aber er hat die ältere Schwester ja auch schon am Strand mit dem Fernglas beim Sonnenbad beobachtet. Doch der eigentliche Skandal: Isabelle scheint völlig indifferent, ohne jedes Schuldbewusstsein und auch ohne Peinlichkeit.
Francois Ozon, dem es immer schon ein Leichtes war, mit aufreizend einfachen Plot-Konstruktionen überraschend verbindlich, zugleich spielerisch und vor allem mit filmischen Mitteln sehr ernsthafte Fragen über Leben, Tod, Familie und Gefühle zu formulieren, interessiert sich nicht sonderlich für eine realistische Auseinandersetzung mit der Frage der Prostitution. Ihm, der seinen Film konsequent um seine faszinierende Hauptdarstellerin als Blickfang herum entwickelt hat, geht es auch nicht so sehr um Psychologie. Stattdessen stattet er Isabelle mit einer Art von Geheimwissen aus, das ihr einen völlig neuen Blick auf die Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit zwischen Hotelzimmer, Schule und eigener Familie zu werfen erlaubt. Mag ihr die Begegnung mit Felix gezeigt haben, dass Sex vielleicht völlig überschätzt wird, so haben ihr die professionellen Kontakte zu zumeist älteren und kultivierten Männern gezeigt, dass sie diesen etwas geben kann, was die Männer anderswo offenbar nicht oder nicht mehr oder nicht mehr so bekommen: das Erlebnis von »Jugend« als Inszenierung. Und zwar selbst, wenn sie glücklich verheiratet sind.
Einmal beobachtet Isabelle überraschend ihre Mutter beim unmissverständlichen Flirt mit einem Freund der Familie. Wie kann die Mutter es nun noch wagen, sie für ihr Handeln zu kritisieren? Befragt, warum sie sich prostituiert habe, bleibt sie eine Antwort schuldig. Nein, es war nicht das Geld. Nein, es war nicht der Sex. Die Mutter besteht empört auf einer Therapie. Doch wie kann Isabelle den Psychiater ernst nehmen, der so alt wie ihre Kunden ist und der überdies für seine Sitzungen nur 70 € pro Stunde bekommt. Trotzdem: als Isabelle sich einmal kurz öffnet, spricht sie davon, dass nicht der Sex sie interessiert habe, sondern die Spannung im Hinblick auf die Begegnung mit den Unbekannten. Und auch der Nachvollzug der Begegnungen sei so reizvoll gewesen, dass sie stets weitergemacht habe. Erst der Tod ihres Lieblingskunden beim Sex habe ihr schließlich den Spaß verdorben. Und ganz zum Schluss wird sie noch einmal zu einer Verabredung in ein Hotel gehen. Doch da erlebt sie eine Überraschung, eine Begegnung mit einer Person, die einen völlig anderen, aber nicht minder sehnsüchtigen Blick auf sie wirft.
„Jung & schön“ ist also ein leichter, experimenteller Essay über den Blick, der den Zuschauer ins Spiel einbezieht – und zugleich ein Film über das unbestimmte Schweben des Erwachsenwerdens. Mag sein, dass man einst seine Eltern durch die Länge der Haare, durch die »richtige« Musik oder durch politische Ansichten provozieren konnte. In unseren aufgeklärten und liberalen Zeiten, in denen die experimentierfreudigen Kinder der siebziger Jahre zu mit allen Wassern gewaschenen Eltern geworden sind, laufen derlei rebellische Strategien komplett ins Leere. Ozon zeigt dagegen, dass moralische Indifferenz, gepaart mit Wissen und Schweigen, durchaus noch Sprengkraft besitzt. Er tut dies allerdings, ohne zu werten – und lässt seiner Figur ihr Geheimnis. Isabelle verweigert sich radikal dem Zwang zum intimen Austausch mit der Mutter, die genau daran fast zerbricht. Amüsant ist dagegen Ozons Idee, dass die Erwachsenen, die um Isabelles Geschichte wissen, ihr, der femme fatale, plötzlich mit Misstrauen begegnen. Als der Mann, der vielleicht ein Verhältnis mit Isabelles Mutter hat, Isabelle nach einem sehr schlecht bezahlten Babysitter-Job nach Hause fahren will, übernimmt unvermittelt seine Frau diese Aufgabe. Darüber kann Isabelle nur lachen.
Als zusätzliche Kommentarschiene hat Ozon zudem noch vier wunderschön melancholische Chansons von Francoise Hardy aus den sechziger Jahren eingesetzt, die das, was der Film zeigt, noch einmal in einem anderen Medium spiegeln, variieren oder dementieren. Aber will man mit Anfang 20 seine spannende Gefühlswelt schon auf Retro-Chanson-Niveau verhandelt wissen? Andererseits: warum nicht, denn irgendwo sind die Dinge, von denen Francoise Hardy singt, ja noch sehr aktuell. Oder zumindest nicht so alt wie der Sound der Musik, zu der sie vorgetragen werden.